„Was wir an Weihnachten essen, ist mehr als Nahrung – es ist Ausdruck von Tradition, Gemeinschaft und Wandel.“
Woher stammen typische Weihnachtsgerichte wie Christstollen, Gans oder Karpfen – und warum sind sie so bedeutsam?
Weihnachtsbräuche haben ihren Ursprung in der christlichen Geschichte und reichen rund 2.000 Jahre zurück. Über Jahrhunderte wurde das Weihnachtsfest rituell begleitet, sowohl kirchlich als auch im privaten Raum. Kulinarisch zeichnet sich Weihnachten seit dem Mittelalter durch besonders festliche, reichhaltige Speisen aus. Fleischgerichte, Fisch – insbesondere Karpfen – und Sondergebäcke wie der Christstollen gehören dazu. Der Stollen vereinte früher besonders kostbare Zutaten und ist zugleich eine Symbolspeise: Er steht für das in Windeln gewickelte Christuskind. Heute werden diese Speisen oft weniger religiös interpretiert, bleiben aber als Tradition hochgeschätzt.
Gab es früher Unterschiede zwischen Heiligabend und den Weihnachtsfeiertagen beim Essen?
Ja, sehr deutlich. Bis ins frühe 20. Jahrhundert galt in der christlichen Tradition eine vorweihnachtliche Fastenzeit. Der Heiligabend war eine Fastenmahlzeit, meist schlicht und oft ohne Fleisch – etwa Kartoffelsalat oder Fisch. Das eigentliche Festessen fand erst am ersten Weihnachtsfeiertag statt. Heute hat sich das stark verschoben: Der Heiligabend ist für viele zum Hauptfeiertag geworden, während der zweite Weihnachtsfeiertag häufig als Restetag oder Reisetag wahrgenommen wird.
Wie haben sich typische Weihnachtsmenüs im Laufe der Zeit verändert?
Früher aßen alle das Gleiche: ein großes gemeinsames Gericht wie Gans mit Beilagen. Individuelle Vorlieben spielten kaum eine Rolle. Seit den 1960er- und 1970er-Jahren kamen neue Formen wie Fondue auf, die Individualisierung ermöglichen. Gleichzeitig hat die Globalisierung das Angebot stark erweitert. Während früher vor allem regionale Produkte gegessen wurden, ist heute nahezu alles verfügbar. Entscheidend blieb jedoch lange, dass Weihnachtsessen besonders reichhaltig, kalorienreich und fleischbetont war – als Ausdruck von Festlichkeit und Schenken.
Welche Rolle spielt das Christentum heute noch bei Weihnachtsspeisen?
Für viele Menschen kaum noch eine. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung ist Mitglied einer Kirche, zudem ist die Gesellschaft religiös und kulturell sehr vielfältig. Viele ehemals christlich geprägte Speisen werden heute nicht mehr religiös gedeutet. Weihnachten entwickelt sich zunehmend zu einem sozialen Winterfest. Gleichzeitig entstehen neue Traditionen – auch in Familien ohne christlichen Hintergrund, die Weihnachtsbräuche und -speisen neugierig aufgreifen.
Welche Bedeutung haben Weihnachtsplätzchen, Lebkuchen und ihre Zutaten?
Sie sind reich an Symbolik. Formen wie Sterne oder Herzen standen ursprünglich für den Stern von Bethlehem oder die Liebe Gottes. Zutaten wie Gewürze, Mandeln und Trockenfrüchte waren früher kostbar und kamen über historische Handelsrouten nach Europa. Besonders Lebkuchen entwickelten sich an Handelsplätzen wie Nürnberg. Die Gewürze wirken wärmend und stimmungsaufhellend – ideal für die Winterzeit. Bis heute markieren diese Backwaren kulturell die Advents- und Weihnachtszeit.
Woher stammen Glühwein und andere warme Gewürzgetränke?
Glühwein entstand aus pragmatischen Gründen: Der früher oft saure Wein wurde erhitzt, gesüßt und gewürzt, um ihn genießbarer zu machen. In Zeiten sehr kalter Winter hatte das auch eine physiologische Funktion. So entwickelte sich aus Notwendigkeit eine Tradition, die bis heute fester Bestandteil der Weihnachtszeit ist.
Verändern vegetarische, vegane oder alkoholfreie Trends das Weihnachtsessen?
Ja, deutlich. Weihnachten ist heute vor allem ein soziales Fest, bei dem unterschiedliche Generationen und Ernährungsstile aufeinandertreffen. Jüngere Menschen fordern zunehmend vegetarische oder vegane Alternativen ein. Daraus entstehen neue, flexible Formen wie Fondue oder gemischte Menüs. Tradition wird dabei nicht einfach aufgegeben, sondern weiterentwickelt.
Welchen Einfluss haben Social Media und Food-Influencer?
Weniger als oft angenommen. Social Media dient vor allem der Inspiration und Unterhaltung. Viele schauen sich moderne Rezepte an, kochen an Weihnachten aber dennoch traditionell. Größeren Einfluss haben digitale Medien dort, wo Traditionen weniger fest verankert sind, etwa in Familien mit internationalem Hintergrund.
Wie sehen Sie die Zukunft des Weihnachtsessens?
Die Entwicklung bleibt dynamisch. Nachhaltigkeit, Preisbewusstsein, Gesundheit und Technik prägen zunehmend die Entscheidungen. Gleichzeitig suchen viele Menschen in unsicheren Zeiten bewusst Halt in Traditionen. Ob Weihnachten seine zentrale Rolle als soziales Winterfest behält, wird sich zeigen – sicher ist jedoch, dass Essen weiterhin ein zentraler Träger von Bedeutung, Gemeinschaft und Wandel bleibt.
Die vollständige Folge „Kulinarische Weihnachtsbräuche“ von „ErnährungPlus – der FoodCast“ kann hier angehört werden.