Pressemitteilung

Ansprache des BLL Präsidenten anlässlich des Tages der Lebensmittelwirtschaft

Berlin, - Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die drei interessanten Vorträge des ersten Teiles unserer heutigen Veranstaltung haben aus verschiedenen Blickwinkeln verbraucherpolitische, wirtschaftspolitische und gesellschaftspolitische Herausforderungen aufgezeigt, die die öffentlichen Diskussionen über den 22. September hinaus prägen werden. Dabei wird immer wieder auch die Frage gestellt werden, welche lenkende Rolle dem Staat zukommen soll und/oder welches Maß an Eigenverantwortung vom Bürger als Verbraucher in unserer komplexen Welt verlangt werden kann.

Welche Regelungsdichte ist unverzichtbar, ab welchem Punkt stranguliert sie Eigeninitiative und Innovationsfreudigkeit unserer nach wie vor mittelständisch geprägten Lebensmittelwirtschaft?

Die Themen „Lebensmittel“, „Sicherheit", „Qualität“, und „Ernährung“ erfahren in Deutschland und darüber hinaus eine nie gekannte politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Landes- und Bundespolitik, die EU bis hin zu WHO, FAO und WTO entwerfen Konzepte, führen Kampagnen durch und ergreifen Gesetzgebungsinitiativen. Dabei sehen wir mit Sorge eine zunehmende Einmischung in das Marktgeschehen; immer neue, restriktive Regelungen werden geschaffen, und mit einem sehr weiten Verständnis von Qualität wird versucht, Angebot und Nachfrageverhalten in eine bestimmte Richtung zu drängen.

Diesen Tendenzen müssen wir entgegentreten. Ich sehe die Aufgabe des Staates und „Staat“ steht hier auch für die EU im wesentlichen in folgender Hinsicht:

  1. durch eine angemessene Gesetzgebung hat er die Gesundheit des Verbrauchers zu schützen, ihn vor Irreführung und Täuschung zu bewahren, und ihm die für eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung notwendigen Informationen zu vermitteln.
  2. Er hat die Einhaltung seiner Regeln effizient zu kontrollieren.

Dies sind nach meinem Verständnis seine Aufgaben - nicht mehr und nicht weniger!Auf darüber hinausgehende Qualitätsaspekte sollte der Staat keinen Einfluss nehmen; sie liegen in der Entscheidung eines jeden Unternehmens und müssen sich am Markt bewähren. Dies hängt wiederum von der individuellen Kaufentscheidung des - idealer Weise gut informierten - Verbrauchers ab; sie wird nicht nur rational getroffen, in ihr kommen - Gott sei Dank - auch emotionale Vorlieben zum Ausdruck; der Staat kann dem Verbraucher die Entscheidung nicht abnehmen und er sollte es auch nicht versuchen.

Ohne Zweifel ist Verbraucherinformation ein ganz wichtiges Thema. In unserer arbeitsteiligen modernen Gesellschaft, in unseren offenen Märkten ist der Verbraucher - um es eher besorgt zu formulieren meistens auf sich allein gestellt, oder - um das Positive zum Ausdruck zu bringen - er kann aus einem großen Angebot hochwertiger Lebensmittel aus aller Welt auswählen. Um diese Wahl aber ohne (Ent-)täuschung treffen zu können, braucht er Informationen, die das Spekt-rum der für ihn relevanten Qualitätskriterien abdecken und für ihn verständlich sind.

Informationen geben die gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung, darüber hinausgehend die Unternehmen selbst und eine Vielzahl anderer Quellen, die zum Teil vom Staat gefördert werden. Schon lange fordern wir eine Revision des europäischen Kennzeichnungsrechtes, um die Informationen auf der Verpackung „einfacher", „verständlicher" „besser" zu machen. Dankenswerter Weise will Kommissar Byrne das Thema aufgreifen. Wir hoffen, dass die Diskussion mit dem Ziel „mehr Qualität" und nicht wie bisher unter eher „quantitativen" Vorzeichen geführt wird.

Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft und - zwar auf all ihren Stufen - leisten schon lange eine großen Beitrag zur Verbraucherinformation - und zwar in ihrem ureigensten Interesse. Kommunikation mit dem Kunden ist ein wichtiger Aspekt im Wettbewerb, und entsprechend werden unternehmenseigene Angebote gepflegt. Dies erfordert natürlich auch in Abhängigkeit von der Pro-duktpalette, so ist Babynahrung sicherlich ein sehr „kundenintensiver“ Bereich - hohen personellen, organisatorischen und damit finanziellen Aufwand, zumal wenn einzelne Unternehmen bis zu 150.000 Anrufe und 60.000 E-mails pro Jahr erreichen. Aber auch 1.000 Kundenanfragen wollen bearbeitet sein.

Selbstverständlich gibt es immer etwas zu verbessern, in der Breite und Tiefe. Deshalb appellieren wir als Verbände an unsere Mitglieder, ihre Unternehmenskommunikation mit dem Verbraucher auszubauen. Es reicht heute eben nicht mehr aus, sichere und gute Produkte anzubieten, man muss auch sagen, warum sie sicher und gut sind! Unser Kuratorium hat gestern beschlossen, dass der BLL in seiner Arbeit einen besonderen Schwerpunkt der Verbraucherinformation widmen soll.

Angesichts des Eigeninteresses und der tatsächlichen Angebote der Unternehmen gibt es keine Notwendigkeit für einen gesetzlichen Informationsanspruch gegenüber Unternehmen, wie von Teilen der Politik und von Verbraucherorganisationen gefordert wird. So begründet auch die kürzlich veröffentlichte Studie des „Verbraucherzentrale Bundesverband" mit der Überschrift „Schweigen, beschönigen, tricksen" einen solchen Bedarf nicht. Abgesehen von grundsätzlicher Kritik an der Methode sowie an inhaltlichen Prämissen belegen aus unserer Sicht auch die Ergebnisse nicht den Vorwurf, dass „Unternehmen der Lebensmittelbranche immer nur über das informieren, was die Öffentlichkeit ohnehin weiß". Und Unklarheit bleibt auch darüber, was der Verbraucher und nicht nur seine Organisation tatsächlich wissen will. Die tägliche Erfahrung unserer Unternehmen ist die, dass den Verbraucher nur eng auf das Produkt bezogene Fragen interessieren, wie Allergien oder Qualitätsmängel. Er denkt insoweit praktisch und nicht politisch. Wenn es um Ausbau und Verbesserung des Informationsverhaltens der Lebensmittelwirtschaft geht, dann sollten wir als erstes diese Frage nach dem Verbraucherinteresse - und zwar aus der Praxis heraus - zu beantworten suchen.
Dies sollten wir gemeinsam angehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
nun noch ein paar Anmerkungen zum Verbraucherinformationsgesetz, das heute in den Ausschüssen behandelt wird und übermorgen im Plenum des Deutschen Bundestages verabschiedet werden soll.

Seit dem ersten Diskussionspapier hat das Vorhaben eine Reihe von wichtigen Änderungen erfahren, was wir durchaus anerkennen. Dennoch haben wir nach wie vor schwerwiegende Bedenken, sehen wir vor allem die schutzwürdigen Belange unserer Unternehmen immer noch nicht in ausreichendem Maße gewahrt. Trotz aller Versicherungen, das Gesetz werde von den Behörden „schon sachgerecht" gehandhabt: es bleibt die Tatsache, dass sich inhaltlich negative Informatio-nen über Lebensmittel, insbesondere mit staatlicher Autorität, in der Regel wie Warnungen auswirken, nachhaltig das Verbraucherverhalten beeinflussen und insoweit Unternehmen und Arbeitsplätze existenziell gefährden können. Daher müssen zumindest weitere Sicherungen für den verfassungsrechtlich geschützten Bereich unternehmerischen Handelns vorgesehen werden. Nur so können die Möglichkeiten des Missbrauchs durch Wettbewerber, Politik oder auch interessierte Gruppierungen begrenzt werden.

  1. So muss es selbstverständlich sein, dass nur verständliche, d.h. unter Umständen von der jeweiligen Behörde aufbereitete und zusätzlich erläuterte Daten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen; Unverständlichkeit kann nicht mit zu hohem Aufwand gerechtfertigt werden.
  2. Während eines laufenden Verwaltungsverfahrens muss eine Veröffentlichung von Daten, die zu diesem Zeitpunkt noch oft nicht abgesichert sind, unterbleiben.
  3. Eine Korrektur inhaltlich falscher Veröffentlichungen muss - auf Verlangen des betroffenen Unternehmens - erfolgen.
  4. Die Behörde darf mit Informationen erst dann an die Öffentlichkeit treten, wenn dazu das Unternehmen selbst nicht Willens oder in der Lage ist.
  5. Und schließlich darf es keinesfalls eine Beschränkung der Behördenhaftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen geben. Damit würde „Schlamperei" zu Las-ten von Unternehmen und Arbeitsplätzen sanktioniert. Ich hoffe sehr, dass der Deutsche Bundestag diese Anliegen berücksichtigt; sollte er es nicht oder nur unvollständig tun, so richte ich schon heute den Appell an den Bundesrat, dies nachzuholen.

Leider ist das Gesetzgebungsvorhaben vom Wahlkampf geprägt - und das tut der Qualität Abbruch! Ich bin sicher, dass alle Beteiligten in Bundestag, der Bundesregierung und Bundesrat mittlerweile erkannt haben, um welch‘ schwierige Materie es sich handelt; es ist ein Neuland, das Sorgfalt und damit Zeit erfordert. Dennoch wird das Gesetz „durchgezogen"; gefragt wäre Qualität - statt Geschwindigkeit.

Unvollkommen ist das Vorhaben im übrigen auch deshalb, weil es auf europäischer Ebene angesiedelt sein müsste; so werden deutsche Unternehmen stärker belastet, die Information über importierte Produkte wird nur eingeschränkt verfügbar sein; auch kann es unseres Erachtens zu Handelshemmnissen führen.

So sehr wir eine gute Verbraucherinformation befürworten, so vehement lehnen wir Information um des bloßen Informieren willens ab. Wie problematisch dies sein kann, belegt eindrucksvoll die vorschnelle Veröffentlichung schwedischer Untersuchungen zu Acrylamid in Lebensmitteln vor drei Wochen.

Wie ein Expertengespräch gestern im BgVV bestätigt hat, gibt es zur Zeit weder eine Analysenmethode für Acrylamid in Lebensmitteln, noch sind die Entstehungsmechanismen bekannt. Auch zu einer toxikologischen Bewertung sehen sich die Wissenschaftler derzeit nicht in der Lage.

Zunächst sollen Sie wissen, dass der BLL umgehend nach bekannt werden der schwedischen Ergebnisse mit seinen Mitgliedern und Experten seines Wissenschaftlichen Beirates die Beratungen aufgenommen und mit der Bundesregierung eine unverzügliche Befassung auf wissenschaftlicher Ebene vereinbart hat.

Dieses bereits erwähnte gestrige Expertengespräch hat zu dem Ergebnis geführt, dass Wirtschaft und Wissenschaft alles tun werden, die notwendigen Klärungen für eine fundierte Beurteilung der Lage schnellstmöglich herbeizuführen. Vorrangig muss die Analytik entwickelt werden.

Ebenso dringlich allerdings ist die Klärung, wie und unter welchen Bedingungen Acrylamid in Lebensmitteln entsteht. Erst dies ermöglicht es, eventuell notwendige Maßnahmen bei der Herstel-lung von Lebensmitteln zu ergreifen. Seien Sie versichert, dass wir als Lebensmittelwirtschaft das Thema sehr ernst nehmen.

Der Fall zeigt auch deutlich die Notwendigkeit auf, das Zusammenspiel im Rahmen der Risikoanalyse, d.h. zwischen „Risk Assessment", „Risk Communication" und „Risk Management" zu verbessern.

Gute Ansätze sind gemacht; von der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde erwarten wir eine unabhängige Risikobewertung auf höchstem wissenschaftlichen Niveau als Grundlage für die Gemeinschaftsgesetzgebung; eingebunden darin wird das neue Bundesinstitut für Risikobewertung sein, von dem wir auch politische Unabhängigkeit und hohe Qualifikation erhoffen. Getrennt davon soll das künftige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit neben einer Reihe von Aufgaben des Risiko-Managements für eine Koordinierung der Bund-Länder Zu-sammenarbeit sorgen; ich weiß, dass die Trennung der beiden Behörden zum Teil auch in unseren Kreisen kritisch gesehen wird; ich meine aber, wir sollten der Lösung, die der europäischen Konzeption entspricht, eine Chance geben. Voraussetzung für das Gelingen ist allerdings eine reibungslose Zusammenarbeit und vor allem eine lückenlose gegenseitige „Risk Communication".

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir wissen es seit vielen Jahren, aber die Ereignisse und Diskussionen „nach BSE" haben uns allen erneut vor Augen geführt, dass Lebensmittelsicherheit, Qualität und Verbraucherinformation nur „in der Kette" zu gewährleisten sind; nur gemeinsam können Landwirtschaft, Industrie, Handwerk und Handel den Anforderungen des Gesetzgebers und den Erwartungen der Verbraucher gerecht werden.

Und diese Kette bildet den BLL, der sich in seiner Arbeit daher immer von der Gesamtsicht leiten lässt.

So war es uns ein Anliegen, dies auch in der heutigen Veranstaltung mit der nun folgenden Podiumsdiskussion zu dokumentieren.

Ich bin sicher, dass das Thema „Verbraucherpolitik - Politik für Verbraucher?" unter der bewährten Moderation von Herrn Michael Opoczynski, Redaktionsleitung WISO ZDF, eine interessante Stunde erwarten lässt.

Herr Opoczynski, ich übergebe gerne an Sie.

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