Der BLL und die Geschichte der Leitsatzarbeit zum Deutschen Lebensmittelbuch

Der BLL hat sich von Beginn seiner Tätigkeit an auch mit der Leitsatzarbeit beschäftigt. Darunter fielt die Erarbeitung von Richtlinien für Lebensmittel und die Arbeit für das Deutsche Lebensmittelbuch.

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Die allgemeine Verkehrsauffassung bzw. die berechtigte Verbrauchererwartung sind zentrale Begriffe und zugleich „Werkzeuge“ des Lebensmittelrechts, insbesondere soweit es um Fragen der üblicherweise zu erwartenden Zusammensetzung der Lebensmittel, sowie des Verständnisses von Aussagen und damit der Verwirklichung des Irreführungsverbotes geht.
 

BLL als Wegbereiter

Der BLL hat sich von Beginn seiner Tätigkeit damit befasst und bereits in der fünften Kuratoriumssitzung am 5. Juni 1956 Leitsätze für die Zusammensetzung von Salaten und Ma­yon­nai­sen bzw. Richtlinien für die Qualität von Fleischerzeugnissen und deren Kenntlichmachung beraten. Aus diesen Anfängen ist eine Vielzahl von Wirtschaftsrichtlinien und Begriffsbestimmungen erwachsen.

Vielfach dienten die BLL-Richtlinien als Vorlage für die Leitsatzarbeit der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission. Mit dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Lebensmittelgesetzes vom 21. Dezember 1958 war durch Artikel 7 eine „Kommission zur Schaffung eines Lebensmittelbuches“ gebildet worden: „Sie hat die Beurteilungsmerkmale hinsichtlich der Zusammensetzung und der Eigenschaften einzelner Lebensmittel oder Gruppen von Lebensmitteln festzustellen und das Ergebnis in Leitsätzen zusammenzufassen“.

Mitglieder der Kommission waren (und sind) Repräsentanten der Wissenschaft, der Lebensmittelüberwachung, der Verbraucherschaft und der Lebensmittelwirtschaft. In der „Fraktion Lebensmittelwirtschaft“ war der BLL von Beginn an vertreten. Auch wenn dem BLL de facto eine Koordinationsrolle in der Meinungsbildung der „Fraktion Lebensmittelwirtschaft“ zukommt, so ist sein Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der andere Mitglieder dieser Fraktion dennoch begrenzt, denn selbstverständlich ist jedes Mitglied frei in seiner Entscheidung.

„Schneckentempo“ und emotionale Ausbrüche

Über die Jahrzehnte erwiesen sich die Arbeiten der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission stets als schwierig. Sie gingen nur sehr langsam voran, und mehrfach wurde im BLL-Kuratorium Klage darüber geführt, dass die Erarbeitung und Verabschiedung von Verordnungen schneller möglich sei als die Einigung auf einen Leitsatz. Die Gründe hierfür sind vielfältig. So wurde das, was sich über Generationen als Handelsbrauch herausgebildet hat, nicht ohne weiteres von allen Mitgliedern als Verkehrsauffassung anerkannt. Tradition stieß auf moderne lebensmitteltechnologische Verfahren.

Die Diskussionen in den Fachausschüssen wie auch die abschließenden Beratungen im Plenum zeigten in der Regel großes Engagement der Teilnehmer, zuweilen aber auch übersteigerte Emotionen. Diese führten in den 1980er Jahren in einem Fall sogar zur Androhung von Prügel durch einen Sachverständigen gegenüber einem Mitglied eines Fachausschusses. In dem gleichen Gremium warf der Vorsitzende aus Verärgerung über eine Detailfrage Knall auf Fall den Vorsitz nieder und löste damit ein bis dahin nicht gekanntes Beben aus. Die Mitarbeit in den Fachausschüssen, wie auch im Präsidium oder im Plenum stellt(e) zugegebenermaßen hohe Anforderungen an die Geduld, wenn nicht gar an die Leidensfähigkeit der Beteiligten, wurde und wird doch zum Teil über kleinste Detailfragen mit großer Verve und Leidenschaft gestritten.

Für den BLL stellte sich von Anfang an die Frage, ob neben oder zusätzlich zu den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches noch Bedarf an den eigenen Richtlinien bzw. Begriffsbestimmungen besteht. Dies wurde grundsätzlich bejaht, und von Fall zu Fall entschieden, ob bestimmte Aspekte, die nicht in den Leitsätzen behandelt waren, noch Gegenstand von BLL-Richtlinien sein sollten.
 

Quasi-Gesetzgeber?

Noch schwieriger und kontroverser wurde die Arbeit durch die mit der Gesamtreform des Lebensmittelrechts einhergehende Änderung der Aufgabenstellung der Lebensmittelbuch-Kommission. In § 33 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG), der heute wortwörtlich als § 15 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) weiter gilt, ist nicht mehr von „Feststellen“ sondern davon die Rede, dass „Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von Lebensmitteln, die für die Verkehrsfähigkeit der Lebensmittel von Bedeutung sind, beschrieben werden“.
„Auf diese Weise sollen die Leitsätze über eine bloße Feststellung von Herstellergewohnheiten und Verbrauchererwartungen hinaus eine gestaltende Funktion erlangen, wenn auch grundsätzlich ohne bindende Wirkung“ – so die amtliche Begründung.

EU-konform?

Mitte der 1990er Jahre brachte die EU-Kommission in einem Schreiben an die Bundesregierung zum Ausdruck, dass die Leitsätze mit europäischem Recht nicht vereinbar seien. Die Bundesregierung setzte sich gegen diese Rechtsauffassung zur Wehr, in dem sie darauf verwies, dass die Leitsätze der Vermarktung von Lebensmitteln aus anderen Mitgliedsstaaten mit abweichender Beschaffenheit oder Zusammensetzung nicht entgegenstehen und darüber hinaus eine angemessenen Etikettierung dieser Abweichung nicht von vornherein diskriminierend wirke.

Unverzichtbar?

Trotz aller Schwierigkeiten hat die Lebensmittelbuchkommission insgesamt über 20 Leitsätze verabschiedet, die vom jeweils zuständigen Bundesministerium veröffentlicht wurden. Sie werden je nach Aktualität fortgeschrieben und bilden nach wie vor ein wichtiges Hilfsmittel bei der Ermittlung der allgemeinen Verkehrsauffassung bzw. berechtigten Verbrauchererwartung. Trotz aller Kritik aus der Lebensmittelwirtschaft möchten die Branchen, deren Produkte Gegenstand von Leitsätzen sind, nicht auf sie verzichten. Sie bilden für sie eine wichtige Grundlage bei der Konzipierung, Herstellung und Vermarktung ihrer Lebensmittel – auch unter wettbewerblichen Gesichtspunkten.

Grundsätzliche Kritik an den Leitsätzen bis hin zur Abschaffung gibt es jedoch auch. So ist es der Wunsch mancher Verbraucherorganisationen, die Leitsätze nur dann beizubehalten, wenn der Einfluss (Sperrminorität) der Wirtschaft abgeschafft wird. Ähnliches ist auch immer wieder aus der Politik zu hören. Dann allerdings könnten sie nicht mehr zur Ermittlung der allgemeinen Verkehrsauffassung bzw. berechtigten Verbrauchererwartung herangezogen werden, denn dazu gehört nun mal auch die Auffassung der Wirtschaft, dazu gehört auch der redliche Handelsbrauch.

In der Krise

Die Initiative des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) „Klarheit und Wahrheit bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln“ aus dem Jahre 2010 zielt unter anderem auf eine Revision und den Ausbau der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches ab, wobei die Entwicklung eines sogenannten horizontalen „Leitsatzes mit allgemeinen Grundsätzen zu Bezeichnung, Angabe und Aufmachung beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln“ im Vordergrund stand. Als dieser Leitsatz im Juni 2011 nicht die notwendige Mehrheit in der Lebensmittelbuch-Kommission fand, kam es praktisch zu einem Stillstand der Leitsatz-Arbeit. Gleichzeitig blieb die Geschäftsstelle im BMELV lange Zeit unbesetzt.

Vor diesem Hintergrund und dabei aufkommender Zweifel am Fortbestehen des Interesses des Ministeriums am Lebensmittelbuch verabschiedete der BLL Ende 2012 Grundsätze zur Arbeit der Kommission. Diese befürworteten zum einen eine Fortsetzung der Leitsatz-Arbeit, unterstrichen die Bereitschaft der Wirtschaft, sich weiter daran konstruktiv zu beteiligen, und betonten die Notwendigkeit der Konsensbildung zwischen den vier „Fraktionen“ bei der Niederlegung der Verkehrsauffassung.
 

Neuanfang

Im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD aus dem Jahre 2013 wurde festgelegt, dass sich die Empfehlungen der Lebensmittelbuch-Kommission „stärker am Anspruch der Verbraucher nach Wahrheit und Klarheit orientieren sollen“. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat im Dezember 2013 eine „Evaluierung des Deutschen Lebensmittelbuches (DLMB) und der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission (DLMBK)“ beschlossen und die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) mit der öffentlichen Ausschreibung beauftragt. Die Evaluierung ist 2014 durchgeführt worden; die Ergebnisse sind kurz vor Jahresende dem Ministerium zugegangen und Mitte März 2015 veröffentlicht worden. Das BMEL hat aus der Evaluierung den Schluss gezogen, das Lebensmittelbuch beizubehalten, seine Struktur und Arbeitsweise aber einer gründlichen Reform zu unterziehen; erreicht werden müssten dabei

  • mehr Effizienz
  • mehr Akzeptanz
  • mehr Transparenz
  • mehr Kommunikation


Wie dies verwirklicht werden kann, wird nun vom BMEL im Einzelnen geprüft, unter Einbeziehung der Meinungsbildung in Wissenschaft, Überwachung, Verbraucherorganisationen und Wirtschaft.

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