Essen mit allen Sinnen (2): Das Auge isst mit

Meerblaue oder sogar schwarze Lebensmittel – viele aktuelle Food-Trends spielen mit der Farbe unseres Essens. Welchen Einfluss Aussehen und Farbe genau auf unser Esserlebnis haben, haben uns Dr. Tina Plank und Professor Mark Greenlee erklärt.

Bowl with blue spirulina smoothie on table. Healthy vegan food concept

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Ein Sprichwort sagt, „das Auge isst mit“ – wie viel Wahres liegt in dieser Aussage?

TP & MG: Der Einfluss von Farben auf das Geschmackserleben konnte in vielen Studien schon systematisch nachgewiesen werden. Der genaue Mechanismus, über den die Farbe Einfluss nimmt, ist jedoch weiterhin Gegenstand der Forschung. Werden Farbe und Geschmack auf einer frühen Stufe der Verarbeitung zu einem multisensorischen Gesamtperzept integriert? Oder sind es höhere, kognitive Prozesse, wie zum Beispiel die erlernte Assoziation der Farbe mit einem bestimmten Geschmack, die zunächst unsere Erwartung an ein Lebensmittel und anschließend auch das erlebte Aroma desselben beeinflussen?

Um der Beantwortung dieser Fragen ein Stück näher zu kommen, führten wir unseren Versuch durch, an dem insgesamt 90 Probanden teilnahmen. Jeder Proband trank eine gleichfarbige – rote, gelbe oder grüne – oder farblose Flüssigkeit aus jeweils drei Gläsern. In zwei der Gläser war eine gleichschmeckende Flüssigkeit, zum Beispiel Erdbeere, enthalten, im dritten Glas war eine andersschmeckende Flüssigkeit, zum Beispiel Kirsche. Die Aufgabe des Probanden war zu erkennen, in welchem Glas die andersschmeckende Flüssigkeit enthalten war.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

TP & MG: Das neue bei unserem Versuch war eine zusätzliche Aufgabe, die bei der Hälfte der Probanden während des Versuchs durchgeführt wurde. Die sogenannte Suppressionsaufgabe bestand darin, das Wort ‚das‘ regelmäßig zu wiederholen während eines Durchgangs. Durch diese ‚verbale Ablenkung‘ sollten andere verbale Prozesse – wie zum Beispiel die Benennung des Geschmacks – unterdrückt werden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Suppressionsaufgabe die Leistung der Probanden sogar verbesserte: Sie werden bei der Geschmacksaufgabe schneller und etwas präziser. Dieser Befund spricht für einen Einfluss der Erwartung auf die Aroma-Wahrnehmung.

Anhand dieser und anderer Ergebnisse kann man ableiten, dass die Erwartungen, die man durch die Farbe von Lebensmitteln bzw. von Getränken bildet, die Geschmackswahrnehmung beeinflussen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Wirkung solcher Erwartungen durch eine zusätzliche kognitive Aufgabe unterdrückt werden kann. Das Sprichwort ‚das Auge isst mit‘ spiegelt just diese Wirkung der Erwartung wider.

Welche Eigenschaften verbinden wir mit bestimmten Farben wie rot, gelb, grün oder blau?

TP & MG: Die Wirkung von Farben auf Geschmackserlebnisse ist in der Regel kontextabhängig. Wichtig für unsere Untersuchung war beispielsweise die Kongruenz der Farb-Geschmack-Paarung: Früchte wie Erdbeere und Kirsche sind mit der Grundfarbe rot kongruent, Zitrone dagegen mit gelb. Wir fanden Effekte auf die Aromawahrnehmung, die direkt mit der farbinduzierten Erwartung zusammenhängen.

Rote Beeren.

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Grundsätzlich erlernen wir im Laufe unseres Lebens gewisse Assoziationen zwischen Farben und Geschmack. Demzufolge wird die Farbe Rot häufig mit reifen Früchten und der damit zu erwartenden Süße assoziiert. Demgegenüber würde man die Farben Grün oder auch Gelb eher mit einem sauren Geschmack verbinden. Bei der Farbe Blau ist eine genaue Assoziation etwas schwieriger, da weniger Lebensmittel natürlicherweise diese Färbung aufweisen – mit Ausnahme einiger weniger Früchte. Die Wirkung von Blau dürfte daher noch stärker kontextabhängig sein. Die Farbe Blau erweckt häufig Erwartungen in Richtung Erfrischung. So konnte eine Studie von Guéguen aus dem Jahr 2003 zum Beispiel zeigen, dass ein Getränk aus einem blauen Glas erfrischender schmeckte als aus andersfarbigen Gläsern.

Stehen Farbe eines Lebensmittels und Geschmack im Zusammenhang?

TP & MG: Die Erwartung leitet die Aromawahrnehmung. Das Gehirn sucht eine Übereinstimmung zwischen dem Farbsinn, zum Beispiel Rot, und dem Geschmack. Infolgedessen erwarten wir bei rotem Fruchtsaft einen Geschmack von Kirsche oder Erdbeere. Bei Gelb erwarten wir eher Zitronengeschmack. Insbesondere die Identifikation von bestimmten Aromen gelingt oft nur, wenn die betreffenden Nahrungsmittel oder Getränke die erwartete Farbe haben

Einige Lebensmittel enthalten färbende Zutaten oder Farbstoffe – brauchen wir die Farbe, um den Geschmack intensiver zu erleben oder würden Verbraucher auch einen weißen Erdbeerbonbon essen?

TP & MG: Tatsächlich lässt sich zeigen, dass auch die wahrgenommene Intensität eines Geschmacks durch die Farbe beeinflusst werden kann. In einem Experiment von Johnson & Clydesdale beispielsweise bewerteten Probanden Getränke mit dunkelroter Farbe im Durchschnitt süßer als diejenigen mit hellroter Farbe, obwohl erstere sogar etwas weniger Zucker enthielten. Infolgedessen könnte ein roter Erdbeerbonbon tatsächlich geschmacklich zunächst intensiver erlebt werden als ein weißer.

Bunte Paprika auf einem Holztisch im vintage Style

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Welche Paprika würden Säuglinge bevorzugen – rot, gelb oder grün? Und welche Erwachsene?

TP & MG: Da sich die erwähnten Farb-Geschmacks-Assoziationen erst im Lauf des Lebens durch Erfahrung ausbilden sollten, würde man erwarten, dass Säuglinge noch keine so starken Farbpräferenzen bei Lebensmitteln aufweisen wie Erwachsene. So zeigten Kinder in einer Studie von Lavin & Lawless den erwähnten Effekt von stärkerer wahrgenommener Süße bei dunkelroten Getränken nicht in gleichem Maße wie Erwachsene. Bei kleinen Kindern käme es wahrscheinlich eher auf die Größe der Paprika als auf ihre Farbe an…

Vielen Dank für das Interview!

Professor Dr. Mark W. Greenlee

Professor Dr. Mark W. Greenlee wurde im Oktober 2003 zum Lehrstuhlinhaber der Experimentellen Psychologie und Methodenlehre nach Regensburg berufen. Zuvor war er Professor für Kognitive Neuropsychologie an der Universität Oldenburg von 1999 bis 2003, während dieser Zeit war er Mitglied des DFG-Sonderforschungsbereichs „Neurokognition“ (SFB 517). Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der funktionalen Anatomie des menschlichen visuellen Systems.

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PD Dr. Tina Plank

Dr. Tina Plank promovierte an der Universität Regensburg im Fach Psychologie zu einem Thema der Psychoakustik. Nach der Promotion forschte sie im Rahmen eines Postdoc-Stipendiums zu neuronalen Korrelaten audiovisueller Reizverarbeitung. Seit 2007 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Experimentelle Psychologie und Methodenlehre. 2017 habilitierte sie sich an der Fakultät für Psychologie, Pädagogik und Sportwissenschaft der Universität Regensburg zu dem Thema „Structural and functional neural correlates of visual processing in patients with central vision loss“.

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Der Artikel ist der zweite Teil der Reihe „Essen mit allen Sinnen“ über den Einfluss der verschiedenen Sinneswahrnehmungen auf das Esserlebnis.