“Bei energiereichen Produkten könnte die Textur eine Stellschraube sein, um übermäßigen Konsum einzudämmen”
Prof. Ciarán Forde erklärt im RESTRUCTURE-Interview, wie sensorische Eigenschaften von Lebensmitteln unser Essverhalten und den Energiehaushalt prägen.
offenen Dose Ravioli auf weißem Hintergrund
© Adobe Stock/Bernd JürgensWelche Eigenschaften von Lebensmitteln begünstigen eine langsamere oder schnellere Essgeschwindigkeit?
Lebensmittel, die eine langsamere Essgeschwindigkeit erfordern, müssen in der Regel stärker gekaut werden, bevor sie sicher geschluckt werden können. Textur ist ein vielschichtiger Begriff: Sie umfasst Form und Größe, Härte und Festigkeit, aber auch Eigenschaften wie Elastizität, Knusprigkeit oder Feuchtigkeit. All diese Faktoren beeinflussen, wie wir beim Kauen vorgehen.
Lebensmittel, die trockener oder härter sind – etwa Vollkornbrot, knusprige Cerealien oder feste Proteine – verlängern die Kauzeit. Weiche, feuchte oder luftige Lebensmittel wie Toastbrote oder Pürees lassen sich hingegen schneller essen. Unsere Forschung zeigt: Je nach Textur verändert sich die Essgeschwindigkeit – und damit sowohl kurzfristig als auch langfristig die Kalorienaufnahme. Mit RESTRUCTURE konnten wir belegen, dass dieser Effekt über einen längeren Zeitraum stabil bleibt.
Ist die Textur damit ein neuer Ansatz für die Reformulierung von Lebensmitteln? Und was bedeutet das für Genussmittel wie Schokolade?
Bisher lag der Fokus bei Reformulierungen vor allem auf Nährstoffgehalt und Portionsgrößen. Die Frage, wie Lebensmittel konsumiert werden, blieb dabei weitgehend unberücksichtigt. Unsere Studien zeigen jedoch, dass die Essgeschwindigkeit gezielt über die Textur beeinflusst werden kann.
Im Rahmen von RESTRUCTURE konnten wir nachweisen, dass eine Veränderung der Textur auch über mehrere Wochen hinweg wirkt – ohne dass Mahlzeiten weniger beliebt oder weniger zufriedenstellend sind. Das eröffnet neue Perspektiven: Künftig könnten nicht nur Inhaltsstoffe, sondern auch sensorische Eigenschaften eine Rolle spielen. Das heißt nicht, dass wir alle Genusslebensmittel schwerer essbar machen sollten. Aber gerade bei energiereichen, nährstoffarmen Produkten könnte die Textur eine Stellschraube sein, um übermäßigen Konsum einzudämmen. Umgekehrt ließe sich das Wissen nutzen, um den Verzehr nährstoffreicher Lebensmittel zu fördern.
Welche Beiträge leistet Ihre Studie zur Diskussion über sogenannte ultrahochverarbeitete Lebensmittel? Warum haben Sie keine Gruppe mit unverarbeiteten Lebensmitteln einbezogen?
Frühere Studien haben gezeigt, dass Menschen bei ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln (Ultra-Processed Food – UPFs) mehr Kalorien aufnehmen als bei weniger verarbeiteten. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Textur und Essgeschwindigkeit entscheidende Mechanismen dahinter sind. Wir beobachteten Unterschiede von durchschnittlich rund 370 Kilokalorien pro Tag.
Wir haben bewusst auf eine Vergleichsgruppe mit unverarbeiteten Lebensmitteln verzichtet, weil sich diese kaum fair mit einer UPF-Ernährung angleichen lässt. Schon kleine Unterschiede in der Energiedichte können die Aufnahme stark beeinflussen. Deshalb haben wir die Diäten so konzipiert, dass sie hinsichtlich Portionsgröße, Vielfalt, Energiedichte, Geschmack und Vertrautheit vergleichbar waren. So konnten wir isoliert untersuchen, welchen Einfluss allein die Textur auf die Essgeschwindigkeit und Energieaufnahme hat.
Verstehen Verbraucherinnen und Verbraucher das Konzept „Textur“ überhaupt? Oder ist „ultrahochverarbeitet“ die wirksamere Botschaft?
Der Begriff „ultrahochverarbeitet“ hat zwar große Aufmerksamkeit erzeugt, ist aber schwer greifbar und oft missverständlich. Viele Menschen setzen ihn mit „Junkfood“ gleich und würden dadurch auch nährstoffreiche Produkte wie Vollkornbrot oder zuckerarme Lebensmittel ausschließen. Textur dagegen begegnet uns bei jeder Mahlzeit. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich durch kleine Veränderungen die Essgeschwindigkeit verlangsamen lässt, ohne Genuss und Zufriedenheit einzubüßen. Für uns ist der beste Weg zu einer gesünderen Ernährung daher, Menschen Lebensmittel anzubieten, die sie mögen, die aber gleichzeitig durch ihre Konsistenz ein bewussteres Essverhalten fördern.
Sollten Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberater künftig Empfehlungen zur Textur geben?
Textur kann eine sinnvolle Ergänzung sein, ersetzt aber keine klassischen Ernährungsempfehlungen. Wer weniger schnell isst, senkt das Risiko für übermäßige Aufnahme – das lässt sich über Konsistenz gezielt unterstützen. Dennoch sollten sich Ratschläge stets an den allgemeinen lebensmittelbasierten Empfehlungen orientieren.
Wie haben Sie sichergestellt, dass Teilnehmende außerhalb der Studie nichts zusätzlich gegessen haben?
Wir haben ein semi-stationäres Studiendesign gewählt: Unter der Woche erhielten die Teilnehmenden ihre Mahlzeiten im Labor, die Wochenendmahlzeiten nahmen sie mit nach Hause, begleitet von klaren Anweisungen, Protokollen und Rückmeldungen. Wir haben Mahlzeiten gewogen, Fotos gesammelt, Urinproben analysiert und die körperliche Aktivität sowie den Glukoseverlauf kontinuierlich erfasst. Durch diese engmaschige Kontrolle konnten wir sicherstellen, dass Abweichungen kaum vorkamen. Insgesamt umfasst die Datenerhebung über 1.100 Menütage – und die Unterschiede in der Energieaufnahme sind eindeutig auf die Textur zurückzuführen.
Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Botschaft der Studie?
Dass die Konsistenz von Lebensmitteln einen nachhaltigen Einfluss auf unser Essverhalten hat – unabhängig von bewusster Kontrolle. Über 14 Tage hinweg führte die langsamere Essgeschwindigkeit zu einer Differenz von mehr als 5.200 Kilokalorien zwischen den Gruppen, ohne dass Genuss oder Sättigung beeinträchtigt waren. Unsere Ergebnisse tragen dazu bei, die Mechanismen besser zu verstehen, die hinter den Unterschieden zwischen minimal und stark verarbeiteten Diäten stehen. Sie zeigen zugleich, dass die Textur eine bislang unterschätzte Möglichkeit bietet, die Energieaufnahme über sensorische Eigenschaften zu steuern.