BLL-Jahrestagung 2019

Mit neuer Spitze in die Zukunft

- Der BLL hat sich umbenannt in Lebensmittelverband Deutschland, Präsident Nießner wurde verabschiedet und der neue, Philipp Hengstenberg, stellte klar, wohin die Reise des Verbands gehen soll. Ein Rückblick.

Verbandspräsident Philipp Hengstenberg bei der Jahrestagung des BLL (zukünftig: Lebensmittelverband Deutschland).

© BLL/Sandra Ritschel
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Der BLL hat sich umbenannt in Lebensmittelverband Deutschland, Präsident Nießner wurde verabschiedet und der neue Präsident, Philipp Hengstenberg, stellte klar, wohin die Reise des Verbands gehen soll. Ein Rückblick auf die Jahrestagung 2019.

Die BLL-Jahrestagung am 8. und 9. Mai 2019 war geprägt von großen Emotionen, starken Worten und einer klaren Aufbruchsstimmung. Stephan Nießner, Mitglied der Geschäftsführung der Ferrero Deutschland GmbH, stand seit Mai 2014 an der Spitze des BLL. Mit Eintritt in den wohlverdienten beruflichen Ruhestand, hatte er sich entschlossen, sein Amt abzugeben und sich nicht mehr zur Wahl zu stellen. Um ihn zu ehren, hatte sich sein Verband für das Abendevent der diesjährigen Jahrestagung deshalb etwas Besonders ausgedacht: Im Spindler & Klatt in Berlin-Kreuzberg, direkt an der Spree, wurde im stimmungsvollen Ambiente gefeiert und Nießner für fünf Jahre Präsidentschaft gewürdigt.

Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, lies es sich nicht nehmen und ehrte Nießner mit einer Rede. Die Bundesministerin dankte ihm für die konstruktiven Gespräche, den respektvollen Umgang und die Fähigkeit, die Positionen der Lebensmittelbranche zu einem Konsens zu bringen. Eigenschaften, die auch Professor Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, in seiner Laudatio neben der Würdigung der hohen fachlichen Expertise Nießners hervorhob.

Zwischen Tradition und Moderne

Am nächsten Tag ging es im Magazin der Heeresbäckerei weiter mit der Mitgliederversammlung, die dieses Mal über weitreichende Entscheidungen abstimmen musste. Und der Ort hätte nicht treffender gewählt werden können. Bei der früheren Bäckerei zur Versorgung der preußischen Armee wurde das alte Fundament erhalten – was man unter anderem an den Schienen sehen konnte, die durch den Vorraum führten – aber die Fassade des Gebäudes und die Räumlichkeiten wurden modernisiert. Eine perfekte Verbindung zwischen Tradition und Moderne, die auch der BLL an diesem Tag offenbarte.

Lebensmittelverband Deutschland

Die Mitgliederversammlung stimmte zunächst für eine Satzungsänderung zur Änderung des Verbandsnamens: Künftig wird der BLL Lebensmittelverband Deutschland heißen. Mit dem neuen Namen fokussiert der Verband klar und unverwechselbar auf seine Themenfelder und Tätigkeiten und stellt sich gleichzeitig veränderten Rahmenbedingungen, die sich insbesondere in Bezug auf die gewachsene Bedeutung des Faktors „Kommunikation“ in den letzten Jahren stark verändert haben.

Darüber hinaus verdeutlicht der neue Name die Dimension und Breite der Mitglieder, die der Verband vertritt: Von der Erzeugung über die Verarbeitung, den Transport, die Verpackung, den Handel bis hin zur Systemgastronomie – eben alle, die sich wirtschaftlich mit dem Thema „Lebensmittel“ beschäftigen.

Hengstenberg an der Spitze

Schließlich erfolgte die Wahl des neuen Präsidenten. Mit Philipp Hengstenberg, Geschäftsführer Supply Chain der Hengstenberg GmbH und Co. KG, steht nun ein Mittelständler an der Spitze des Verbands.

Ihre offiziellen Abschieds- und Antrittsreden hielten Nießner und Hengstenberg im anschließenden öffentlichen Teil der Jahrestagung. Nießner dankte der Geschäftsstelle, den Mitgliedern und Gesprächspartnern des Verbands und hob die Erfolge der Reduktions- und Innovationsstrategie hervor: „Es wurde leidenschaftlich debattiert und am Ende stand die Erkenntnis, dass obwohl es anfangs schier unmöglich schien am Runden Tisch zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen, der sachliche Austausch von Argumenten und die Akzeptanz der Positionen anderer der Schlüssel zum Erfolg sein kann.“ Gleichzeitig mahnte Nießner den Zusammenhalt an, gerade auch mit Blick auf die aktuelle Diskussion zum Thema erweiterte Nährwertkennzeichnung: „Was uns doch auf jeden Fall eint, ist der Wunsch, dass es eine europaweit einheitliche Regelung geben muss.“

An seinen Nachfolger gerichtet erklärte Nießner: „Philipp Hengstenberg steht für den Mittelstand und damit für 90 Prozent der Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft. Philipp Hengstenberg steht für ein traditionsreiches, familiengeführtes Unternehmen. Wenn also jemand weiß, wie sich Überreglementierung und bürokratische Hemmnisse auswirken können, dann er. Und wenn jemand weiß, wie man eine Brücke zwischen Tradition und Moderne baut, dann er“.

Zeichen der Zeit erkennen

„Unerschütterlich, selbstsicher und fachlich stets versiert. Dazu die notwendige Portion Humor, ohne die man die Irrungen und Wirrungen des Verbandslebens auch gar nicht durchstehen würde“ – Philipp Hengstenberg betonte zu Beginn seiner Rede noch einmal, in welche große Fußstapfen er tritt. Doch er machte auch deutlich, dass er als Umwelttechnologe neue Weichen stellen möchte: „Ich möchte die Tradition dieses Verbands bewahren. Gleichzeitig bin ich aber auch Impulsgeber. Ich bin überzeugt, dass wir uns modernen Strömungen stärker öffnen müssen und daher auch einige neue Weichen neu stellen müssen. Sich selbst treu bleiben, aber neue Impulse setzen. Das ist kein Gegensatz, das ist Notwendigkeit.“

Als Beispiel nannte er den Klimaschutz und Zielkonflikte, denen man sich stellen müsste, zum Beispiel zwischen der Frage der Lebensmittelverluste einerseits und der Vermeidung von Plastikmüll andererseits: „Es geht um die schlichte Erkenntnis, dass unser bisheriger Umgang mit natürlichen Ressourcen und unserer natürlichen Umwelt eine dramatische Veränderung erfahren muss – und zwar eher kurz- als mittelfristig. Vielleicht essen wir irgendwann alle Fleisch aus dem Labor und das Kraut kommt aus dem 3D-Drucker, aber noch sind wir alle, wie wir hier sitzen, auf eine funktionierende Wertschöpfungskette angewiesen und die beginnt auf dem Feld, im Stall und überall dort, wo unsere Rohstoffe wachsen. Und deshalb geht der Klimawandel uns alle an.“

Zusammen stärker sein

Weiterhin erklärte der neue Präsident das neue Selbstverständnis des Lebensmittelverbands: „Es reicht heute nicht mehr aus, lebensmittelrechtlich zu argumentieren und zu agieren. Denn neben Recht und Wissenschaft sind längst Kommunikation und Wertediskussionen getreten.“ Zum Schluss ergänzte er: „Lassen Sie uns geschlossen als Branche die Herausforderungen annehmen, die vor uns liegen. Lassen Sie uns diesen Wandel nutzen, um aus dem neuen Namen unseres Verbandes auch eine neue gemeinsame Stärke zu ziehen. Gemeinsame Stärke muss dabei aber gar nicht zwingend heißen, dass man immer dieselbe Meinung, dieselben Werte vertritt.“

Starkes Europa gefordert

Nach der Wirtschaft kam die Politik zu Wort: Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Hans-Joachim Fuchtel, stellt in seiner Rede klar, dass das BMEL Sondersteuern auf Zucker oder Fett ablehnen würde und stattdessen auf die Erfolge der Reduktions- und Innovationsstrategie sowie die erweiterte Nährwertkennzeichnung setzt. „Die Koalitionsfraktionen haben die Bundesregierung beauftragt, ein entsprechendes Modell zu entwickeln. Das EU-Recht gibt hier jedoch einen klaren Rahmen vor. So können die Mitgliedstaaten der Wirtschaft ein Modell lediglich empfehlen, nicht aber vorschreiben. Das Beste für Wirtschaft und Verbraucher wäre eine EU-weit einheitliche Lösung“.

Fuchtel stellte in diesem Zusammenhang die besondere Bedeutung einer entscheidungsfähigen Europäischen Union für die Entwicklung der Ernährungswirtschaft heraus: „Ein einheitlicher Rechtsrahmen im Binnenmarkt ist gerade für eine exportorientierte Wirtschaft wie die deutsche von Vorteil.“

Historischer Blick

Den krönenden Abschluss machte Professor Dr. Andreas Rödder, Professor für Neue Geschichte an der Universität Mainz, mit einem historischen Blick auf die anstehende Europawahl und die Rolle Deutschlands. In seinem kurzweiligen Vortrag ging er der Frage nach, wie man die EU ins neue Jahrzehnt führen könne und europäische Integration gelingen kann. Nichts sei deutscher, so Rödder, als die Frage „Was ist deutsch?“ Das habe damit zu tun, dass sich die Deutschen, als im frühen 19. Jahrhundert das moderne Nationalstaatsbewusstsein aufkam, nicht als Staatsnation verstehen konnten, weil es keinen geeinten deutschen Staat gab, und sich deshalb ersatzweise als Kulturnation verstanden. Daher spielten moralische Werte und deutsche „Tugenden“ stets eine besondere Rolle. Vor 1914 verstanden die Deutschen darunter eine besondere deutsche Innerlichkeit und Gedankentiefe, Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit, Tapferkeit und Disziplin. Das heutige Deutschland sehe sich selbst ganz anders: Als Zivilmacht und Friedenskultur. Haben sich die Inhalte auch geändert, so ist eines geblieben: eine Tendenz zum Gefühl der moralischen Überlegenheit, wie sich nicht zuletzt im Zusammenhang der „Willkommenskultur“ 2015 zeigte.

Die Außenwahrnehmung von Deutschland sei hingegen eine andere: Die Vorstellung, dass es zwei Deutschlands gebe – das Deutschland der Wissenschaft und der Kultur sowie das Deutschland von Krieg und Vormacht. Diese Vormacht äußert sich heute nicht mehr militärisch, sondern wirtschaftlich. Nach wie vor aber beunruhigt sie die deutschen Nachbarn, zumal Deutschland immer als sprunghaft und unberechenbar galt – bis hin zur Euro-Schuldenkrise und zur Flüchtlingskrise.

Rödder folgerte aus diesen historischen Beobachtungen, dass es wichtig sei, solche Wahrnehmungen politisch ernst zu nehmen. Die deutsche Frage in Europa sei, so Rödder, auch heute eine Frage der Balance – einer Balance „zwischen rücksichtsloser Führung und führungsloser Rücksicht“. Vor diesem Hintergrund formulierte er abschließend fünf europapolitische Forderungen: Erstens den Appell an alle, sich nicht ständig als Opfer der anderen zu sehen, zweitens des Appell an die anderen, von Deutschland nicht mehr zu erwarten als von sich selbst, drittens den Appell an Deutschland, mehr für die Ordnung in Deutschland zu tun, viertens den Appell für eine flexible Europäische Union und in Ergänzung dazu, fünftens, eine verstärkte deutsch-französisch-britische Zusammenarbeit, wenn der Brexit denn einmal erledigt ist, um die Kraftquellen Europas auszuschöpfen und Europa in der Welt zu behaupten. Dies sei, so Rödder, die zentrale Anforderung an eine politische Strategie für Deutschland in Europa.

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