Von Algorithmen und Influencern – die Gesetze der digitalen Welt
Gelesen, geteilt, gehypt – wie die Community mit Artikeln, Bildern und Videos umgeht, ist entscheidend für die Positionierung und Auffindbarkeit dieser Inhalte im Web. Wenn Influencer über ein Thema sprechen, werden Meinungen gebildet und klassische Medien zur Berichterstattung nahezu gezwungen. Die digitale Welt hat ihre eigenen Gesetze. Darüber sprachen Experten beim 6. Mediendialog Lebensmittel.
Präsident Philipp Hengstenberg begrüßte die zahlreichen Gäste im Spreespeicher zum ersten Mediendialog unter dem neuen Namen „Lebensmittelverband Deutschland“ und unterstrich auch mit Bezug auf den Namenswechsel die Notwendigkeit der Sichtbarkeit und Schlagkraft von Verbänden in den sozialen Netzwerken für eine funktionierende Interessensvertretung.
Relevanzkriterien von Facebook, Google und YouTube
In der ersten Keynote erklärte Prof. Dr. Christian Stöcker, Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, welche Relevanzkriterien Facebook, Google und YouTube im Gegensatz zu klassischen Medien, die sich nach Nachrichtenfaktoren richten, haben. Bei Facebook wird Relevanz über Engagement definiert, welches mittels Likes, Clicks und Shares gemessen wird. „Ein interaktionsstarker Inhalt ist auch ein gut monetarisierbarer Inhalt. Besonders gut funktionieren emotionale Inhalte und zwar die, die schlechte Laune machen.“ Bei Google richtet sich die Relevanz eines Inhalts nach den User Signals (Klickrate, Absprungrate, Verweildauer). Bei YouTube dreht sich wiederum alles um die Watch Time. Hierbei ist vor allem auch wichtig, wie viele Videos nacheinander angeschaut wurden. Sein Fazit: „Algorithmen und neue Medienkanäle können unser Weltbild formen. Sie haben andere Relevanzkriterien als etwa Redaktionen. Missglückte Kommunikation oder Desinformation kann durch neue Gatekeeper bemerkenswerte Reichweiten erzielen.“
Medienkompetenz ist Voraussetzung
Im anschließenden „Nachgehakt“ sprach Stöcker gemeinsam mit Matthias Spielkamp, Geschäftsführer AlgorithmWatch, mit dem Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands, Christoph Minhoff, über Algorithmen und ihre Macht. AlgorithmWatch ist eine gemeinnützige Organisation, die Auswirkungen algorithmischer Entscheidungsfindungsprozesse auf menschliches Verhalten analysiert und ethische Konflikte aufzeigt. Doch nicht alles hängt an den Algorithmen und den Menschen und Firmen, die diese programmiert haben. Spielkamp sieht auch eine gewisse Eigenverantwortung der User, die sich schon im Kindesalter mit Hilfe der Eltern und Schulen ausbilden müsse, aber auch bei Erwachsenen sei hier noch viel Lernbedarf beim Umgang mit digitalen Medien: „Wir brauchen heutzutage schon eine gewisse Medienkompetenz, damit die Menschen aus der Trefferliste bei Google auch die herausfiltern können, die wirklich Relevanz haben und seriös sind.“ Regulierungen und Interventionsmöglichkeiten von staatlicher Seite betrachtet Spielkamp aktuell noch kritisch, da es hier seiner Meinung nach noch keine sinnvolle und wirksame Möglichkeit und Vorgehensweise gebe.
Influencer-Mix ist erfolgsversprechend im Marketing
Nach einer pointierten und spitzen Diskussionsanalyse von Jakob Augstein und Nikolaus Blome – die mittlerweile zum Standard-Programm des Mediendialogs gehört – gab Marlis Jahnke, geschäftsführende Gesellschafterin der Agentur Inpromo, mit ihrem Vortrag Einblicke in die Welt der Influencer, die ihre wichtigste Plattform bei Instagram haben. Für die Expertin ist klar – es müssen nicht immer Top-Influencer mit Millionenreichweite sein, wenn es darum geht, Werbekampagnen zu fahren. Meistens sei der Output, den man bei der Zusammenarbeit mit Special Interest Influencern erzielt, besser, da die Followerschaft relevanter ist und die Engagement Raten für das beworbene Produkt höher. Jahnkes Rat: „Kluge Influencer-Kampagnen fahren nicht mit einzelnen Influencern, sondern mit einem vielfältigen Influencer-Mix.“
Authentizität zählt
Die abschließende Podiumsdiskussion mit Diana Kinnert, CDU, Bastian Brauns, Cicero, Konstantin Kuhle, FDP und Günter Tissen von der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker, drehte sich um die Frage der Wirkungsmacht von Influencern, u. a. am Beispiel des Abrechnungsvideos von YouTuber Rezo mit der CDU. Dabei stand auch die Frage der Authentizität im Mittelpunkt. Konstantin Kuhle riet in diesem Zusammenhang seinen Kolleg:innen aus der Politik: „ Wir brauchen einen natürlichen Zugang zu sozialen Medien und digitaler Öffentlichkeit und Mut und Zutrauen. Politik funktioniert nicht ohne Kommunikation. Politiker müssen sich mit Leidenschaft erklären.“ Allgemein gesprochen erklärte Diana Kinnert: „Die besten Botschafter sind die, die erkennen lassen, dass sie es mit dem Produkt ernst meinen, sich damit auseinandersetzen und zum Beispiel aufklären – nicht die, die es schönreden.“ Und auch Günter Tissen wusste aus eigener Verbandserfahrung zu berichten, dass Social Media-Kommunikation authentisch, aber auch experimentierfreudig sein müsse. Bastian Brauns brach schließlich noch eine Lanze für den klassischen Journalismus und dessen nach wie vor nicht zu unterschätzende Wirkungsmacht. So hätten gerade die klassischen Medien sehr zum Hype um Influencer beigetragen, in dem beispielsweise in großem Umfang über Rezo berichtet wurde.