Bundeskabinett beschließt Tierhaltungskennzeichnungsgesetz

Staatliches Tierwohllabel kommt – Folgen der Krise werden weiter ignoriert

- Das Bundeskabinett hat am 12. Oktober 2022 den vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vorgelegten Gesetzentwurf zur Kennzeichnung von Lebensmitteln mit der entsprechenden Tierhaltungsform beschlossen.
Bundesminister Cem Özdemir am Rednerpult

Bundesminister Özedmir stellt bei einer Presskonferenz die Eckpunkte für eine verpflichtende staatliche Tierkennzeichnung vor.

© BMEL/Photothek
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Das Tierwohllabel kommt zunächst bei Schweinefleisch und soll auf andere Tierarten, Produkte und Vermarktungsarten ausgeweitet werden. Vieles bleibt aber noch offen bzw. unklar. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) möchte mit diesem Gesetz einen „ersten Schritt“ machen, um die Tierhaltung in Deutschland zu verbessern. Geplant sind fünf Haltungsformen, die zunächst für unverarbeitetes Schweinefleisch eingeführt werden sollen. Das BMEL erhofft sich durch das sogenannte Tierhaltungskennzeichnungsgesetz mehr Transparenz und Übersichtlichkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher. Gleichzeitig wird kritisiert, bestehende Label der Wirtschaft seien intransparent und nicht weit verbreitet.

Der Gesetzesentwurf für das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz betont, dass Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Tierwohl fordern und durch eine höhere Zahlungsbereitschaft zudem bereit wären, diese Entwicklung zu fördern.

Deutsche Lebensmittelwirtschaft sieht Gesetzentwurf überwiegend kritisch

Die deutsche Lebensmittelwirtschaft steht zu dem gemeinsamen Ziel einer Verbesserung der Tierhaltung. Dem vom Kabinett beschlossenen Gesetzesentwurf steht die deutsche Lebensmittelwirtschaft aber vor allem deshalb kritisch gegenüber, weil gerade in Krisenzeiten der Blick für die Realität nicht abhandenkommen darf.

Der vorliegende Gesetzentwurf für das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz klammert die derzeitigen Entwicklungen in der Krise vollkommen aus. Die Aussagen zur erhöhten Zahlungsbereitschaft von Verbraucherinnen und Verbrauchern gehen auf den Ernährungsbericht 2022 zurück und stammen aus einer Zeit vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Seither steigen Lebensmittel- und Energiepreise drastisch an. Diese Situation ist für Betriebe, Tierhalter und Konsumentinnen und Konsumenten gleichermaßen existenzbedrohend. Auf der Bundesebene werden milliardenschwere Hilfspakete geschnürt, damit die Menschen über den Winter kommen. In einer solchen Zeit ein Gesetz auf den Weg zu bringen, dass per se eine Kostensteigerung von Lebensmitteln zur Grundvoraussetzung hat und eine Finanzierungsperspektive für Umbaumaßnahmen vermissen lässt, zeigt, dass die Krisensituation schlicht ignoriert wird. Zudem belegten Realstudien, auch schon vor Beginn der Krise, dass eine erhebliche Ambivalenz zwischen der Zahlungsbereitschaft und der tatsächlichen Kaufentscheidung besteht.

Der Gesetzentwurf wälzt die Verantwortung für den Umbau der Tierhaltung in Deutschland allein auf die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Tierhalterinnen und Tierhalter ab, denn ein umfassendes Finanzierungskonzept für notwendige Umbaumaßnahmen bleibt die Bundesregierung bisher schuldig.

Unbestimmt und in Teilen zu praxisfern

Bereits im vorgelegten Entwurf wird eine Ausweitung der verpflichtenden Kennzeichnung auf weitere Tierarten, Produkte und Vermarktungswege angekündigt. Wie und wann dies geschehen soll, bleibt aber vollkommen offen. Ebenso unbestimmt ist der Gesetzentwurf im Hinblick auf die Fragen der Kontrolle und Überwachung, denn auch insoweit fehlt es an einem realistischen und praxistauglichen Konzept. Die Anforderungen des Entwurfs an die Registrierung und Dokumentation der Betriebe sind unnötig aufwendig und überfordern nicht nur die Betriebe, sondern auch die Länderbehörden. Unzureichende Möglichkeiten bzw. Kapazitäten für Überwachung und Kontrolle haben aber bereits früher dazu geführt, das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher und die Aussagekraft von Labels zu schwächen. So kann ein verpflichtendes staatliches Label nicht zum Erfolg kommen.

Zusammen mit der geforderten Kennzeichnung auf Einzelproduktebene, die de facto ein Abrücken von europäischen Kennzeichnungsgrundsätzen bedeutet, ist die Umsetzung des Gesetzentwurfs zu praxisfern und für die Lebensmittelwirtschaft in dieser Form nicht umsetzbar. Sie birgt zudem die Gefahr, dass Betriebe ihre Standorte in europäische Nachbarländer mit geringeren Standards verlagern. Dann hätte Deutschland auf dem Papier womöglich eine hervorragende Tierhaltung, der tatsächlichen Verbesserung der Haltungsbedingungen in der Realität aber einen Bärendienst erwiesen.

Gemeinsame Aufgaben sollten nicht im Alleingang gelöst werden

Die deutsche Lebensmittelwirtschaft engagiert sich seit vielen Jahren für die Verbesserung der Tierhaltung. Im Zuge dieses Engagements wurde auch das privatwirtschaftliche Label der Initiative Tierwohl (ITW) geschaffen, das Verbraucherinnen und Verbrauchern bereits heute ein hohes Maß an Transparenz im Hinblick auf die Tierhaltung bietet. Das erfolgreiche Konzept der Haltungsform-Kennzeichnung, die mittlerweile eine sehr hohe Markdurchdringung erreicht hat und von knapp 90 Prozent der Menschen positiv wahrgenommen wird (s. aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der ITW), bleibt durch den vorliegenden Gesetzentwurf gänzlich unbeachtet. Daran änderte sich auch im Beteiligungsprozess der Verbände trotz deren Hinweisen wenig, denn die angebrachten Kritikpunkte wurden weder kommentiert noch berücksichtigt. Das entspricht nach Einschätzung der deutschen Lebensmittelwirtschaft nicht der Idee einer gemeinsamen, praxistauglichen Lösungssuche.

Die deutsche Lebensmittelwirtschaft erkennt an, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher eine bessere Tierhaltung wünschen und steht bereit, um diesen Weg gemeinsam mit der Bundesregierung zu beschreiten. Was es dafür aber braucht, sind krisenfeste, Vertrauen schaffende Konzepte, die bestehende Ansätze der Wirtschaft aufgreifen und langfristige Perspektiven schaffen, damit notwendige Investitionen getätigt werden können. Das vorgelegte Gesetz hingegen enthält erhebliche Fehlstellen und ist daher nicht geeignet, um eine solche Transformation erfolgreich einzuleiten. Vielmehr birgt es die Gefahr, das Misstrauen der Tierhaltenden weiter zu steigern und somit dem angestrebten Umbau der Tierhaltung zuwider zu laufen. Aufgrund der offenen Finanzierungsfrage und eines unzureichenden Überwachungsrahmens bleibt die Erreichung des mit der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung verfolgten Zieles zweifelhaft.

Hoffen auf Änderungen im parlamentarischen Verfahren

Mit dem Kabinettsbeschluss für die staatlich verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung ist der Weg für das parlamentarischen Verfahren geebnet, das hoffentlich noch Kritikpunkte der Lebensmittelwirtschaft aufgreifen wird, um zu einer praxisgerechteren Ausgestaltung des Gesetzentwurfes beizutragen.