Replik auf den DANK-Faktencheck vom 6. November 2023

Streit ums Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz – Lebensmittelwirtschaft kontert DANK

- Der Versuch der DANK, die Lebensmittel-, Werbe- und Medienwirtschaft sowie Verlage und Rundfunkanstalten als unseriös zu framen, ist offensichtlich, denn der sogenannte Faktencheck der DANK hält seinerseits einer fachlichen Überprüfung nicht stand.
Familie mit zwei Kindern sitzen auf einem Sofa vor dem Fernseher
© Monkey Business - stock.adobe.com
Bildunterschrift anzeigen

Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) behauptet in einer Pressemitteilung vom 6. November 2023, dass die „zentralen Aussagen der Branchenverbände[1] über den geleakten Entwurf des Kinderlebensmittel-Werbegesetzes (KLWG) in der Fassung vom 28. Juni 2023 einer fachlichen Überprüfung nicht standhalten“ würden. Die DANK wiederholt gebetsmühlenartig ihre bekannten Argumente, die dadurch aber weder wahrer noch überzeugender werden. Der Versuch, die Lebensmittel-, Werbe- und Medienwirtschaft sowie Verlage und Rundfunkanstalten als unseriös zu framen, ist offensichtlich, denn der sogenannte Faktencheck der DANK hält seinerseits einer fachlichen Überprüfung nicht stand. Er ändert zudem nichts daran, dass der Entwurf des KLWG in seiner vierten Fassung (KLWG 4) laut Auffassung von renommierten Expertinnen und Experten verfassungs- und europarechtswidrig ist und auf methodisch schwachen Studien basiert. Nach wie vor gilt: Die Evidenz eines unmittelbaren, kausalen Zusammenhangs zwischen der Werbeexposition von Kindern und vermehrtem Übergewicht bis hin zu Adipositas ist nicht gegeben.

Aussage 1: „Das Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) erfasst weiterhin schätzungsweise 70 Prozent aller Lebensmittel“

DANK schreibt: Für diese Behauptung gibt es keine Evidenzgrundlage. Die Angabe bezieht sich auf Berechnungen zum WHO-Nährwertmodell, wie der Lebensmittelverband auf X (vormals Twitter) angegeben hat. Die vom Bundesernährungsministerium (BMEL) vorgeschlagenen Grenzwerte für Kalorien, Zucker, Fett oder Salz weichen aber erheblich vom WHO-Nährwertmodell ab. Die Änderungen des BMEL betreffen Säfte, Milch, Milchgetränke, Pflanzendrinks, Joghurts und andere Milchprodukte, frisches und gefrorenes Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte sowie Eier. Berechnungen auf Grundlage des ursprünglichen WHO-Nährwertmodells sind daher nicht geeignet, um Aussagen zum aktuellen BMEL-Entwurf zu treffen. Genau das macht aber die neue Initiative der Branchenverbände. In Ermangelung repräsentativer Datenquellen kann aktuell nicht genau beziffert werden, welcher Anteil des hiesigen Lebensmittelangebots vom aktuellen Entwurf des BMEL tatsächlich betroffen wäre. Eine realistische Größenordnung liegt bei etwa 40 bis 50 Prozent, wie eine Datenrecherche von Wissenschaftler:innen der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU München) in Zusammenarbeit mit DANK zeigt. Demnach wären im Schnitt (Median) über die 22 Lebensmittelkategorien hinweg etwa 45 Prozent der Produkte vom aktuellen Entwurf des BMEL für eine Werberegulierung erfasst. Die Analyse basiert auf einer Zufalls-Stichprobe von 660 Produkten des deutschen Lebensmittelmarkts. Zurzeit der Publikation als Preprint lag die Quote noch bei 62 Prozent. Das BMEL hat die Grenzwerte jedoch seitdem überarbeitet.

Lebensmittelverband antwortet: Es ist richtig, dass das BMEL im Anhang des Entwurfs zum KLWG 4 in Teilen von dem Nährwertprofil-Modell 2023 der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Regionalbüro für Europa, abweicht. Die 70 bis 80 Prozent aller Lebensmittel, die vom Werbebann betroffen wären, beziehen wir auf Analysen der WHO[2] zu eben diesem WHO-Nährwertprofil-Modell. Im Rahmen der Entwicklung des Modells für 2023 wurden 108.578 Lebensmittel aus 13 europäischen Ländern (Belgien, Kroatien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Lettland, Portugal, Serbien, Slowenien, Spanien und Rumänien) dahingehend untersucht, ob sie die Kriterien des WHO-Nährwertprofil-Modells für Europa 2023 (und des älteren Modells aus 2015) erfüllen. Die Ergebnisse zeigen, dass nach dem aktuellen Modell nur 27 Prozent aller untersuchten Lebensmittel beworben werden dürften. Im Umkehrschluss dürfen ganze 73 Prozent der untersuchten Lebensmittel nicht beworben werden. Zwar stammen die Daten nicht aus Deutschland, bereits in der Vergangenheit hatte eine Studie für ausgewählte Produktkategorien aus 20 EU-Ländern jedoch ähnlich hohe Werte (68 Prozent) für das Modell aus 2015 ergeben[3].Wir sprechen deshalb von „schätzungsweise 70 Prozent.“ Im Übrigen stellt auch die DANK fest: „In Ermangelung repräsentativer Datenquellen kann aktuell nicht genau beziffert werden, welcher Anteil des hiesigen Lebensmittelangebots vom aktuellen Entwurf des BMEL tatsächlich betroffen wäre.“

Die DANK, sonst immer der WHO anhänglich, zieht als Gegenargument zu den Analysen der WHO eine eigene, nicht repräsentative Untersuchung heran, bei welcher lediglich 660 Lebensmittel – aus einem Produktangebot von ca. 170.000 Lebensmitteln – untersucht wurden. Als Quelle für die Nährwerte wurde die offene Crowdsourcing Nahrungsmittelproduktdatenbank Open Food Facts verwendet, deren Datenqualität die Autoren selbst bei genauerem Lesen in ihrer Publikation kritisch hinterfragen: „Während wir die von Open Food Facts bereitgestellten Nährstoff- und Inhaltsstoffdaten für einigermaßen zuverlässig hielten, zeigten unsere Stichproben, dass die Daten für einige Produkte von den Produktdaten auf den Websites der Hersteller und Einzelhändler abwichen, was darauf hindeutet, dass Open Food Facts für einige Produkte möglicherweise veraltete Informationen bereitstellt.“ [“While we found the nutrient and ingredient data provided by Open Food Facts to be reasonably reliable, our spot checks revealed that for some products, data differed from the product data provided on the manufacturers’ and retailers’ websites, indicating that for some products Open Food Facts may provide outdated information.”]. Die Studie hat zudem das Peer-Review-Verfahren noch nicht durchlaufen und wurde damit noch nicht unabhängig begutachten.[4]

Dass das BMEL mittlerweile Anpassungen an dem WHO-Nährwertprofil-Modell für Europa 2023 vorgenommen hat, lässt aus unserer Sicht erkennen, dass die dringende Notwendigkeit für Anpassungen an den aktuellen Vorschlägen zumindest in Teilen erkannt wurde.

Aussage 2: „Werbeverbote sind unwirksam im Kampf gegen kindliches Übergewicht“

DANK schreibt: Für diese Behauptung gibt es keine Evidenzgrundlage. Der Einfluss von Lebensmittelwerbung auf die Vorlieben, die Essensauswahl, das Kauf- und Ernährungsverhalten von Kindern ist in großen systematischen Übersichtsarbeiten untersucht und überzeugend dokumentiert – auch ein kausaler Zusammenhang konnte belegt werden. […] Auch die Lebensmittelwirtschaft selbst hat die Evidenz für Werbebeschränkungen längst anerkannt. Im Jahr 2007 haben elf führende Lebensmittelhersteller beschlossen, an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett und Salz einzuschränken – als freiwilligen Beitrag zu einer EU Plattform im Kampf gegen Adipositas […] Die WHO hat erst kürzlich zwei systematische Übersichtsarbeiten zu Lebensmittelwerbung anfertigen lassen: Eine zur Evidenz über den Einfluss der Lebensmittelwerbung auf Kinder[5] und eine zur Evidenz der Effekte von Werberegulierungen[6]. Beide Übersichtsarbeiten kommen zum Schluss, dass die vorhandene Evidenz die Einführung von Werbebeschränkungen unterstützt. […] Wer suggeriert, Werbebeschränkungen seien aufgrund fehlender Daten zu Auswirkungen auf den BMI nicht evidenzbasiert, gibt den Kenntnisstand falsch wieder und ignoriert die vorhandene, umfangreiche Evidenz zum Einfluss der Lebensmittelwerbung auf das Ernährungsverhalten der Kinder und die vorhandene Evidenz zur Wirksamkeit von Werbebeschränkungen auf das Kaufverhalten.

Lebensmittelverband antwortet: Die DANK schreibt es selbst: Die Studien, die sie immer wieder zitieren, untersuchen lediglich die Endpunkte „Auswahl- und Konsumverhalten“, meist im experimentellen Design. Vereinfacht gesagt: Wenn ein Kind einen Werbespot sieht und im Anschluss zwei Lebensmittel zur Auswahl hat, wird es vorwiegend das aussuchen, wozu es vorher die Werbung gesehen hat. Aber von diesem kurzfristigen Effekt unter Bedingungen, die nicht die Lebensrealität der meisten Kinder widerspiegeln (z. B. direkte Verfügbarkeit des beworbenen Lebensmittels), auf das gesamte Ernährungsverhalten und in der Folge auf die Übergewichtsentwicklung zu schließen, ist eine starke Annahme. Wir geben weder den Kenntnisstand falsch wieder noch ignorieren wir Studienergebnisse. Im Gegenteil: Die aktuellen systematischen Übersichtarbeiten sehen keine überzeugende, sondern je nach Endpunkt moderate, oft sogar (sehr) schwache Evidenz, was die DANK ignoriert. Boyland et al. 2022 wird damit zitiert, dass Werbung einen Einfluss auf die Essgewohnheiten der Kinder habe und zu Übergewicht und Adipositas führen könne. Dafür liefert die Literaturübersicht allerdings keinerlei überzeugende Belege. Weder weist sie einen langfristigen, kausalen Einfluss von Werbung auf das Essverhalten nach, noch belegt sie einen kausalen Effekt von Werbung auf Übergewicht. Wenig verwunderlich kommt Statistikexpertin Katharina Schüller daher in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die von ihr untersuchten Studien keine Belege für eine Rechtfertigung eines Werbeverbotes liefern. Die Evidenz eines unmittelbaren, kausalen Zusammenhangs zwischen der Werbeexposition von Kindern und vermehrtem Übergewicht bis hin zu Adipositas ist nicht gegeben.[7]

Der EU-Pledge, den führende Lebensmittelhersteller im Jahr 2007 geschlossen haben, erkennt im Übrigen an, dass Kinder eine besonders schützenswerte Gruppe sind und für sie besondere Regelungen gelten müssen. Aus diesem Grund ist Werbung gegenüber Kindern auf gesetzlicher Ebene bereits heute streng reguliert und es gelten die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats. Diese umfassen unter anderem das Verbot einer direkten Kauf- und Konsumaufforderung. Auch Werbung, die den Eindruck erweckt, der Verzehr eines bestimmten Lebensmittels sei für eine ausgewogene Ernährung unersetzlich, ist zu unterlassen. Ebenso sind Inhalte und Darstellungen verboten, die dem Erlernen eines gesunden, aktiven Lebensstils entgegenwirken.

Beim aktuellen Gesetzesentwurf geht es aber primär nicht nur um den Schutz von Kindern, sondern um ein unverhältnismäßiges, generelles Verbot der Werbung für bestimmte Lebensmittel vor allem in der Prime-Time im Rundfunk (u. a. montags bis samstags zwischen 17 und 22 Uhr). Casting- und Musikshows, Spiel- und Quizformate oder auch das sportliche Großereignis schauen Kinder, wenn überhaupt, aber nicht alleine, sondern mit der Familie, sprich mit ihren Erziehungsberechtigten. Laut Daten der Arbeitsgemeinschaft Videoforschung ist der Markanteil der 3- bis 13-jährigen Kinder montags bis freitags zwischen 17 und 22 Uhr bei zwei Prozent, samstags bei drei Prozent und sonntags zwischen 8 und 22 Uhr bei zwei Prozent. Deshalb hat das KLWG in seiner aktuellen Ausgestaltung für uns nichts mit einer zielführenden und zielgruppenorientierten Maßnahme zu tun.

Aussage 3: „Dies zieht einen irreparablen Schaden in der Medien- und Werbewirtschaft nach sich, da rund 3 Mrd. Euro Werbeeinnahmen fehlen werden, die nicht kompensiert werden können“

DANK schreibt: Für diese Behauptung gibt es keine Evidenzgrundlage. Die Berechnung basiert auf einem Gutachten im Auftrag des Markenverbands, welches veraltet ist. Das Gutachten behandelt nicht den Referentenentwurf des BMEL vom 28. Juni 2023, den die Branchenverbände kritisieren, sondern eine veraltete Fassung vom 11. Mai 2023. Sowohl mit Blick auf die Grenzwerte und die erfassten Lebensmittel als auch mit Blick auf die Regelungen in der TV- und der Außenwerbung ist der Juni-Entwurf nicht mit dem Mai-Entwurf vergleichbar. Anders als suggeriert, ergeben sich für Lebensmittelhersteller vielfältige Möglichkeiten, sogar für Ungesundes zu werben. Alle berechneten Szenarien auf Grundlage des Mai-Entwurfs sind daher obsolet. […]
Diese statistische Sicht auf das Werbegeschehen blendet Ausweichreaktionen der Lebensmittelindustrie und anderer werbender Industrien vollständig aus. Das Gutachten berücksichtigt beispielsweise nicht, dass Lebensmittelhersteller stattdessen Lebensmittel mit weniger Zucker, Fett, Salz verstärkt bewerben, Rezepturen vorhandener Produkte anpassen sowie Werbebudgets für ungesunde Lebensmittel auf andere Uhrzeiten, Formate und Kanäle umlenken könnten. Schon aus diesem Grund waren die Berechnungen zu keinem Zeitpunkt der Debatte belastbar.

Lebensmittelverband antwortet: Es ist richtig, dass sich das Gutachten, dass der Markenverband in Auftrag gegeben hat, auf den ersten Entwurf des KLWG bezog. Der Vorwurf der DANK offenbart aber erneut das eigentliche Ziel der Werbeverbotsbefürworter: staatlich verordnete Rezepturvorgaben. Bereits in der gemeinsamen Analyse mit der Ludwig-Maximilian-Universität gibt die DANK den Tipp an alle Lebensmittelhersteller, dass für noch mehr Lebensmittel geworben werden dürfte, wenn sie eine Reduzierung des Zuckers um 20 Prozent oder des Salzes um 30 Prozent vornehmen würden. Abgesehen davon, dass dies technologisch nur mit viel Forschungs- und Entwicklungsaufwand (also finanziellen Mitteln) möglich ist und auch nur bei wenigen Produkten funktioniert, hat eine solche Rezepturveränderung enorme Auswirkungen auf den Geschmack, die Textur, die Haltbarkeit und schließlich den Preis des Produkts – ganz abgesehen davon, dass nicht klar ist, wie diese Produkte dann von den Verbrauchern akzeptiert werden. Außerdem stellen staatliche Rezepturvorgaben einen Eingriff in den Markt und die Angebotsvielfalt dar.

 


[1] Verbändeschreiben an Bundesminister Cem Özdemir vom 19. Oktober 2023: https://www.lebensmittelverband.de/de/presse/pressemitteilungen/20231019-breite-ablehnung-gegen-kinder-lebensmittel-werbegesetz

[2] WHO Regional Office for Europe nutrient profile model: second edition. Copenhagen: WHO Regional Office for Europe; 2023. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO

[3] Storcksdieck genannt Bonsmann S, Robinson M, Wollgast J, Caldeira S.

The ineligibility of food products from across the EU for marketing to children according to two EU-level nutrient profile models. PloS one; 2019;14(10):e0213512. DOI: 10.1371/journal.pone.0213512. Zugänglich unter: pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31644591/

[4] Holliday N, Leibinger A, Huizinga O, Klinger C, Okanmelu E, Geffert K, et al.

Application of the WHO Nutrient Profile Model to products on the German market: Implications for proposed new food marketing legislation in Germany. Zugänglich unter: www.medrxiv.org/content/10.1101/2023.04.24.23288785v1.full.pdf (letzter Zugriff am 06.11.2023).

[5] Boyland E, McGale L, Maden M, Hounsome J, Boland A, Angus K, Jones A. Association of Food and Nonalcoholic Beverage Marketing With Children and Adolescents' Eating Behaviors and Health: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Pediatr. 2022 Jul 1;176(7):e221037. doi: 10.1001/jamapediatrics.2022.1037. Epub 2022 Jul 5. PMID: 35499839; PMCID: PMC9062773.

[6] Boyland E, McGale L, Maden M, Hounsome J, Boland A, Jones A. Systematic review of the effect of policies to restrict the marketing of foods and non-alcoholic beverages to which children are exposed. Obes Rev. 2022 Aug;23(8):e13447. doi: 10.1111/obr.13447. Epub 2022 Apr 5. PMID: 35384238; PMCID: PMC9541016

[7] Schüller K, Krämer W. Wissenschaftliches Gutachten zur Aussagekraft ausgewählter Studien zum Zusammenhang zwischen Werbeexposition und der Ernährungsweise von Kindern; 2023. Zugänglich unter: https://www.stat-up.com/post/wissenschaftliches-gutachten-zur-wirkung-von-werbung-auf-die-ern%C3%A4hrung-von-kindern (letzter Zugriff am 06.11.2023).