Veranstaltung zum Grünen Deal

Zwischenbilanz und Ausblick zur Strategie „Vom Hof auf den Tisch“

- Im Rahmen der Veranstaltung „Grüner Deal und Vom-Hof-auf-den-Tisch-Strategie: Zwischenbilanz und Ausblick“ hat der Lebensmittelverband mit renommierten Expertinnen und Experten auf den aktuellen Stand der europäischen Nachhaltigkeitsprojekte geblickt und Erwartungen an die Europawahl formuliert.
Podium mit Blumenschmuck und Banner im Hintergrund
© Sandra Ritschel/Lebensmittelverband Deutschland
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Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff stellte in seiner Begrüßung klar: „Die Europawahl nächstes Jahr wird eine entscheidende Rolle spielen, ob und wie wir als Europäische Union den Grünen Deal weiter vorantreiben und umsetzen werden. Wir brauchen europäische Lösungen, einen starken Binnenmarkt und keine nationalen Alleingänge. Wir brauchen Wahlfreiheit für die Konsumentinnen und Konsumenten anstelle von Verbotspolitik und Verbraucherlenkung durch den Gesetzgeber.“ Minhoff mahnte zudem, Europa würde sich an einem Wendepunkt befinden: „Europa darf nicht in die Hände der Populisten fallen. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, ein starkes und vereintes Europa zu schaffen, das auf den Grundwerten von Toleranz, Vielfalt und Respekt basiert. Wir müssen denjenigen, die uns spalten wollen, entschlossen entgegentreten.“

Status Quo zum Grünen Deal aus Sicht der Politik

Als Einstieg der inhaltlichen Vorträge gab Klaus Berend, Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission, einen Überblick über die Strategien zum Grünen Deal und welche Maßnahmen bereits von der EU-Kommission ergriffen wurden, um diese umzusetzen, wie zum Beispiel das Ziel zur Reduktion von Lebensmittelabfällen. Dr. Doris Heberle, Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) stellte den aktuellen Stand der Projekte im Ministerium vor, u. a. bekräftigte sie das Ziel, dass 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen bis 2030 ökologisch bewirtschaftet werden sollen.

Rechtsrahmen steht noch immer nicht

Im Anschluss analysierte Prof. Dr. Kai Purnhagen, Direktor der Forschungsstelle für Deutsches und Europäisches Lebensmittelrecht der Universität Bayreuth, den Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme, indem er die einzelnen Ansätze für gesetzliche Regelungen betrachtete und aus seiner Sicht einschätzte, welche wahrscheinlich durchgesetzt werden können und welche nicht. Erfolgsaussichten bescheinigte er u. a. der Verordnung für die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die in Verbindung mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen sowie Vorhaben zu Lebensmittelkontaktmaterialien. Als weniger durchsetzungsfähig sah Purnhagen das Ziel an, bis zum Jahr 2030 50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen.

Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft

Zum Thema Kodex für nachhaltige Unternehmens- und Marketingpraktiken referierten Emilie Bourgoin, Direktorin Public Affairs REWE, und Carolin Weber, Kommunikationsdirektorin Unilever Deutschland über die Strategien ihrer jeweiligen Häuser. Während REWE auf Kooperationen, z. B. mit dem Naturschutzbund (NABU) und Projekte wie Pro Planet setzt, regionale Lieferketten befürwortet und auch schon die „wahren“ Kosten von Lebensmitteln ausgewiesen hat, handelt Unilever nach den vier selbstgewählten Nachhaltigkeitssäulen „Regenerative Landwirtschaft“, „Klimaschutz“, „Verpackungsreduktion“ und „Umsatzsteigerung pflanzlicher Alternativen“.

Umweltaussagen dürfen kein Greenwashing sein

In der ersten Podiumsrunde, eingeleitet mit einem Impulsvortrag von Prof. Andreas Meisterernst, Meisterernst Rechtsanwälte, ging es um Umwelt- und Nachhaltigkeitsangaben. Wenn man Lebensmittelprodukten in Zukunft Umweltaussagen hinzufügen möchte, muss man laut Meisterernst über viele bürokratische Hürden springen, um eine Zertifizierung zu erhalten. Die Diskutanten, Peter Loosen, Geschäftsführer Lebensmittelverband Deutschland, Christian Mieles, Geschäftsführer Bundesverband des deutschen Lebensmittelhandels (BVLH), Stefanie Sabet, Geschäftsführerin Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) und Christiane Seidel Teamleiterin Lebensmittel Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sprachen darüber, wie man Greenwashing vermeiden kann, welche Nachhaltigkeitsangaben Verbraucherinnen und Verbrauchern tatsächlich weiterhelfen und welche Kriterien ein Klimalabel sinnvollerweise berücksichtigen müsse.

Potenziale der neuen genomischen Verfahren

In die zweite Podiumsrunde führte Prof. Purnhagen gemeinsam mit Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany ein. Die beiden Wissenschaftler hielten ein Plädoyer für die neuen Züchtungstechnologien bzw. neuen genomischen Verfahren (NGT). Jany konstatierte, dass Genomeditierung Potenziale bietet, die genutzt werden sollten, u. a. für die Entwicklung klimaresistenter Getreidesorten. So positiv waren jedoch nicht alle Teilnehmer der anschließenden Podiumsrunde mit Dr. Alexander Beck, Hauptgeschäftsführer Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL), Gerald Dohme, Generalsekretär Deutscher Bauernverband, Dr. Marcus Girnau, stellvertretender Hauptgeschäftsführer Lebensmittelverband Deutschland und Dr. Momme Matthiesen, Geschäftsführer Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie (OVID) eingestellt. Das Thema wurde kontrovers diskutiert. Insbesondere eine umfassende Risikoanalyse sowie eine verpflichtenden Kennzeichnung entlang der Wertschöpfungskette für Lebens- und Futtermittel, damit Verbraucherinnen und Verbraucher die Wahlfreiheit zwischen NGT-veränderten Produkten und nicht veränderten Produkten haben, wurden als Vorrausetzung für den Einsatz von NGT genannt.

Forderungen des Lebensmittelverbands zur Europawahl

Zum Abschluss der Veranstaltung stellte Lebensmittelverbands-Präsident René Püchner fünf Kernforderungen und Erwartungen der Lebensmittelwirtschaft an die Europawahl vor und betonte: „Es ist an der Zeit, unsere Anstrengungen zu bündeln und gemeinsam die Herausforderungen anzugehen, um eine nachhaltigere Zukunft für alle zu schaffen.“

1. Die Notwendigkeit von Investitionen in nachhaltige Lebensmittelsysteme
Ohne Investitionen wird der Übergang zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen nicht gelingen. Das fängt bei der Landwirtschaft an, betrifft das Thema erneuerbare Energien und deren Infrastruktur und hört beim Thema Recycling nicht auf.

2. Forschung und Innovation als zentrale Instrumente für mehr Nachhaltigkeit
Wenn wir die Potenziale, die Wissenschaft und Forschung uns präsentieren, nicht nutzen, dann werden wir mehr Nachhaltigkeit nicht erreichen – die neuen Züchtungstechnologien waren heute ein Thema. Zulassungen neuartiger Lebensmittel, der Novel Foods, sind ein weiteres und auch die Nutzung digitaler Instrumente auf allen Ebenen gehören dazu.

3. Die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Handel als Garant für Versorgungssicherheit
Die Krisen der vergangenen Jahre haben uns eindrücklich vor Augen geführt, wie wichtig einerseits verlässliche Handelsbeziehungen sind, aber auch, dass wir andererseits den Standort Europa und die Produktion hier brauchen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

4. Die Bedeutung einer besseren Rechtsetzung als unverzichtbare Voraussetzung zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele
Wissenschaft als Grundlage, verlässliche Folgenabschätzungen und die Verpflichtung, keine neuen Bürokratiekosten zu veranlassen, sind gerade auch für die Lebensmittelwirtschaft mit ihren über 90 Prozent kleinen und mittelständischen Unternehmen überlebenswichtig. Und das vor allem, um den Binnenmarkt und damit die vielleicht größte Errungenschaft des europäischen Projekts zu bewahren und weiter zu stärken. Der gemeinsame Markt stellt sicher, dass europaweit gleiche Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei Lebensmitteln gelten – zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher und als Sicherheit für die Unternehmen der Lebensmittelbranche. Nationale Vorgehensweisen können kontraproduktiv für dieses Qualitätsniveau sein und schaden dem Binnenmarkt.

5. Eine verbesserte Koordination des Gesetzgebers auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten, um Zielkonflikte zu vermeiden und aufzulösen
Nachhaltigkeit erfordert die gleichzeitige Berücksichtigung aller drei Säulen: sozial, wirtschaftlich und umweltbezogen. Das Thema Nachhaltigkeit verpflichtet dazu, endlich ganzheitlich zu denken und die sich ergebenden Zielkonflikte aufzulösen.

Die fünf Forderungen bilden das Fundament der kommenden politischen Aktivitäten und Gespräche des Lebensmittelverbands Deutschland mit Blick auf die Europawahl vom 6. bis zum 9. Juni 2024.