Position/Stellungnahme

Nachhaltigere Lebensmittelsysteme: Grundsatzposition der deutschen Lebensmittelwirtschaft

- In dieser Grundsatzposition sind die Kernbotschaften der Lebensmittelwirtschaft zu „nachhaltigeren Lebensmittelsystemen“ niedergelegt, die über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg unterstützt werden. Darüber hinaus obliegt den für einzelne Themen zuständigen (Branchen-)Verbänden die weitergehende, fachliche Detailkommentierung.

Nachhaltigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung

Angesichts einer stetig wachsenden Weltbevölkerung und einer zunehmenden Sichtbarkeit der bestehenden planetaren Grenzen stellt die verlässliche Versorgung der Menschen mit sicheren, hochwertigen Nahrungsmitteln unter angemessener Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Gleichzeitig hat der Zusammenhang zwischen Konsum und Gesundheit für den Verbraucher an Bedeutung gewonnen. Vor diesem Hintergrund rückt das Thema Nachhaltigkeit auch in Lebensmittelproduktion und Ernährung verstärkt in den Fokus.

Nachhaltiges Wirtschaften liegt im ureigenen Interesse jedes wirtschaftlichen Handelns und ist damit auch für die Lebensmittelwirtschaft bereits heute von großer Bedeutung. Die Lebensmittelwirtschaft leistet daher heute schon aktive Beiträge zur Umsetzung und zum Ausbau nachhaltiger Systeme bei der Erzeugung, der Verarbeitung und dem Vertrieb von Lebensmitteln. Um den Konsum und die Nachfrage auf allen Stufen der Wertschöpfungskette in Zukunft noch nachhaltiger zu gestalten, ist auch der Verbraucher ein unverzichtbarer Akteur auf dem gemeinsamen Weg zur Gestaltung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme. Neben dem angebotsseitigen Engagement der Wirtschaft, bedarf es daher in gleichem Maße einer Mitwirkung des Verbrauchers sowie aller weiteren Akteure, d. h. eines verantwortungsvollen Umgangs sämtlicher relevanter gesellschaftlicher Akteure mit den Ressourcen vom Acker bis zum Teller.

Die Lebensmittelwirtschaft ist Teil der Lösung

Die Lebensmittelwirtschaft erkennt die in den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) adressierten Fragestellungen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe an und wird ihren aktiven Beitrag für eine noch nachhaltigere Erzeugung, Veredelung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln leisten. Daher engagiert sich die Lebensmittelwirtschaft in Form zahlreicher Maßnahmen und Initiativen zum nachhaltigen Wirtschaften. Lösungsansätze reichen vom Lieferketten- und Rohstoffmanagement über Energieeffizienz und Abfallvermeidung in der Produktion bis hin zu gemeinsamem sozialen Engagement mit den Kunden. Die Wiederverwendung, Wiederverwertung und Sammlung von Verpackungsmaterialien, ebenso wie die Reduzierung von Lebensmittelverlusten sowie der Bodenschutz, Einsatz pflanzlicher Proteinquellen und die stetige Weiterentwicklung der Produktpalette, die sich u. a. an den Verbraucherwünschen orientiert, leisten bereits heute einen bedeutsamen Beitrag zu der Gestaltung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme. Dieses Engagement wird die Lebensmittelwirtschaft, auch mit Blick auf die augenblicklichen Diskussionen auf EU-Ebene zum „Green Deal“ und zur „Farm-to-Fork-Strategie“, auf der Basis fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterentwickeln. Um den Herausforderungen des Klimawandels und der zunehmenden Ressourcenverknappung entgegenzuwirken, bieten zum Beispiel die Bindung von Emissionen, die Produktion nachwachsender Rohstoffe und Energieträger, die Erschließung neuer Nährstoffquellen bzw. Produktionstechnologien und das Schließen von Stoffkreisläufen erhebliche Potenziale, die von der Lebensmittelwirtschaft genutzt werden können.

Nachhaltigere Lebensmittelsysteme reduzieren Umweltauswirkungen

Lebensmittel erzeugen in ihrem Gesamtlebenszyklus unweigerlich Emissionen, in Deutschland liegt der Anteil von Lebensmitteln an den Pro-Kopf-Emissionen bei 18 Prozent. Das Ziel der Klimaneutralität in der Lebensmittelkette erfordert auf allen Stufen der Lebensmittelkette Maßnahmen zur Reduktion von Emissionen sowie zur Produktivitätssteigerung. Dazu müssen die Reduktionspotenziale identifiziert werden. Für eine gesteigerte Ressourceneffizienz setzen die Unternehmen zudem auf die Verringerung des Verbrauches an Energie, Wasser und Rohstoffen sowie eine Optimierung von Transport- und Logistikprozessen. Zur Kompensation von Emissionen wird in der Landwirtschaft in Maßnahmen investiert, die CO2 binden. Die Lebensmittelwirtschaft ist zudem ein wichtiger Produzent erneuerbarer Energien und trägt somit zu einer nachhaltigen Bioökonomie bei. Dabei gilt, dass die Verwendung als Lebensmittel stets Vorrang vor der Verwendung als Energieträger haben muss. Zudem darf die Nutzung erneuerbarer Energien nicht zulasten des für die Lebensmittelproduktion nötigen Wasserverbrauches gehen.

Ein erhebliches Einsparpotenzial für Emissionen bei gleichzeitiger Verbesserung des Ressourceneinsatzes liegt zudem in einer effektiven Reduzierung von vermeidbaren Lebensmittelabfällen auf allen Stufen der Lebensmittelkette sowie einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft. Angemessene Produkt- und Transportverpackungen sind für die Sicherheit und den Qualitätserhalt von Lebensmitteln unverzichtbar. Die Lebensmittelwirtschaft ist als Verwender von Verpackungen bestrebt, den Einsatz von Verpackungsmaterialien sowie deren Wiederverwendung, Wiederverwertung und Sammlung zu optimieren und Innovationen in diesem Bereich voranzutreiben.

Die Messung der Klimaauswirkungen von Prozessen in der Lebensmittelkette ist für die Lebensmittelwirtschaft nicht nur relevant, um Einsparziele zu erkennen, sondern auch um die eigene Klimabilanz glaubhaft gegenüber Verbrauchern zu kommunizieren. Eine Orientierung für einen klimabewussten Einkauf kann (wo möglich) die Wahl saisonaler Lebensmittel mit kurzen Transportwegen bilden. Die Erstellung der Klimabilanz einzelner Produkte ist kostenintensiv und erfordert umfassende und belastbare Daten sowie einheitliche und damit vergleichbare Berechnungsmethoden, die gleichzeitig individuelle Besonderheiten von einzelnen Produkten nicht vernachlässigen dürfen. Die Lebensmittelwirtschaft unterstützt eine einheitliche Messung der Klimabilanz sowie deren freiwillige Kommunikation gegenüber dem Verbraucher unabhängig von der Verpackung. Damit und bevor der EU-Umweltfußabdruck (PEF) zukünftig eine Basis für einheitliche Messungen bilden kann, muss weiter an einer Anwendbarkeit für alle Produkte geforscht werden.

Verantwortungsvolles Miteinander in nachhaltigen Lieferketten stärken

Nachhaltige Lebensmittelsysteme und ein nachhaltiger Lebensmittelkonsum basieren auf einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Erzeugung, einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion und nachhaltigen Lieferketten. Sowohl die konventionelle als auch die ökologische Landwirtschaft haben darin ihren Platz. Den Schutz der Biodiversität, von Böden, Gewässern und Wäldern sowie Tierwohlaspekte gilt es sowohl in den Lieferketten, als auch im Rahmen eines nachhaltigen Konsumverhaltens zu berücksichtigen. Ebenso müssen Menschenrechte, Arbeitsstandards und eine faire Entlohnung entlang der Lieferkette gewahrt werden. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind dafür maßgeblich. Die Lebensmittelwirtschaft setzt auf die freiwillige Verpflichtung zu Leitlinien für verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln, um Nachhaltigkeit in den Lieferketten zu sichern.

Gleichzeitig übernimmt die Lebensmittelwirtschaft als Partner im internationalen Handel Verantwortung für globale Lieferketten, Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Dabei tragen insbesondere Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit dazu bei, Entwicklungs- und Schwellenländer zur Selbsthilfe zu befähigen und damit diese ihre landwirtschaftlichen Produktionspotenziale auszuschöpfen.

Nachhaltigeres Wirtschaften muss ökonomische Herausforderungen berücksichtigen und die Wettbewerbsfähigkeit erhalten

Als einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige Deutschlands strebt die Lebensmittelwirtschaft nach einem stabilen Wachstum, das Investitionen in Nachhaltigkeit sowie Forschung und Entwicklung sicherstellt und Arbeitsplätze erhält bzw. schafft. Nachhaltige Entwicklung ist auf innovative, wettbewerbsfähige und wirtschaftlich starke Unternehmen angewiesen, deren soziale Leistungen anerkannt und angemessen gewichtet werden. Die Branche ist den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) sowie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichtet. Die deutschen Sozialstandards werden in den Betrieben der Lebensmittelwirtschaft eingehalten, dazu gehören geregelte Arbeitszeiten, angemessene Entlohnungsstrukturen, Maßnahmen zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz und in der überwiegenden Zahl der Betriebe Betriebsräte und Mitbestimmung. Gleichzeitig fördern die Unternehmen Chancengerechtigkeit und Vielfalt, Integration und die Vereinbarung von Familie und Beruf. Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung kommt die Lebensmittelwirtschaft zudem über gesetzes- und richtlinienkonformes Verhalten und Korruptionsbekämpfung nach.

Zum Gelingen einer nachhaltigen Entwicklung tragen die großen deutschen Unternehmen der Branche ebenso bei wie die zahlenmäßig überwiegenden kleinen und mittelständischen Betriebe (KMU). Nachhaltigere Lebensmittelsysteme zu gestalten ist ein Prozess, dessen Maßnahmen für ein nachhaltigeres Wirtschaften oft mit steigenden Kosten verbunden sind. Insbesondere für KMU stellt dies eine ungleich größere Herausforderung dar. Es gilt daher sicherzustellen, dass auf dem Weg hin zu einer nachhaltigeren Lebensmittelwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe am Weltmarkt heute und in Zukunft gewährleistet bleibt. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass die Erreichung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme, je nach Branche, auf unterschiedliche Weise erzielt werden kann. Eine „One-size-fits-it-all“-Lösung, die für jedes Unternehmen bzw. jede Teilbranche gleichermaßen gilt, ist somit nicht zielführend und wird der Komplexität der gemeinsamen Herausforderung nicht gerecht.

Nachhaltigeres Wirtschaften verlangt die Lösung von Zielkonflikten anhand objektiver und wissenschaftlich fundierter Kriterien in einem dialogorientierten Prozess

Nachhaltigeres Wirtschaften entlang der Wertschöpfungskette bezieht alle Säulen der Nachhaltigkeit ein und muss Konflikte zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen lösen. Objektive und wissenschaftlich valide Kriterien sind dabei unabdingbar für eine angemessene Priorisierung der vielfältigen Nachhaltigkeitsziele und deren Umsetzung. Die Politik ist aufgefordert, diesen Grundsätzen unter Einbindung der Lebensmittelwirtschaft und der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Die Entwicklung hin zu einer nachhaltigeren Lebensmittelwirtschaft kann nur in einem dialogorientierten Prozess gelingen, in dem alle gesellschaftlichen Akteure aufgefordert sind, geeignete wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig praktikable Kriterien und Maßnahmen zu entwickeln, ohne den Verbraucher zu bevormunden und die Eigenverantwortung der Unternehmen in Frage zu stellen. Anreize für Investitionen sowie Forschung und Entwicklung sind wichtige Kernelemente auf dem gemeinsamen Weg zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen. Oberste Prämisse sollte dabei sein, dass die Gestaltung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen vereinbar, kohärent und an den Zielen der Agenda 2030 orientiert ist.

Nachhaltigere Ernährung erfordert auch Mitverantwortung des Verbrauchers

Eine nachhaltige Ernährung umfasst eine sichere, genussvolle, ausgewogene und bedarfsdeckende Ernährungsweise. Die Lebensmittelwirtschaft stellt den Verbrauchern ein auf die individuell sehr unterschiedlichen Ernährungsbedürfnisse und -präferenzen abgestimmtes, breites Angebot zur Verfügung, das verschiedene Lebensstile berücksichtigt und auf diese Weise die Basis für eine ausgewogene und nachhaltige Ernährung bietet. Eine nachhaltigere Ernährung erfordert eine Kaufentscheidung, die die verschiedenen Aspekte von Nachhaltigkeit berücksichtigt, denn das Lebensmittelangebot richtet sich nach der Wahl und Zahlungsbereitschaft des Verbrauchers. Damit Verbraucher in der Lage sind, bewusste nachhaltigere Kaufentscheidungen zu treffen, benötigen sie ausreichende Informationen und das Verständnis, um diese einordnen zu können. Als Verbraucherinformationen stehen neben der umfangreichen Pflichtkennzeichnung auf Lebensmitteln, freiwillige Informationsangebote, z. B. auf der Verpackung, digital oder anderen Wegen, sowie staatliche oder private (Qualitäts-)Siegel zur Verfügung. Bei zusätzlichen Pflichtinformationen ist zu gewährleisten, dass diese sinnvoll, verständlich, verhältnismäßig und realisierbar sind. Die Befähigung zu einem nachhaltigeren Konsum muss vorrangig durch Verbraucherbildung gefördert werden. Die Vermittlung entsprechender Kenntnisse muss insbesondere in den schulischen Lehrplänen vorgesehen werden. Konsumlenkenden Maßnahmen wie Steuern, Werbe- oder Produktverboten, die den Verbraucher bevormunden, ist hingegen eine Absage zu erteilen. Derartige Maßnahmen stellen aus der Sicht der Lebensmittelwirtschaft keine geeigneten Maßnahmen dar, um zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen beizutragen.

Die deutsche Lebensmittelwirtschaft
Die deutsche Lebensmittelwirtschaft, die vorwiegend mittelständisch geprägt ist, sichert die angebotene Vielfalt von rund 170.000 Lebensmitteln zu bezahlbaren Preisen. Sie stellt Arbeitsplätze für zwölf Prozent der Erwerbstätigen und investiert durchgehend in die Zukunft des Arbeitsmarkts am Standort Deutschland. Insgesamt sorgen über fünf Millionen Menschen in 700.000 Betrieben dafür, dass über 82 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sowie eine Vielzahl von Menschen weltweit, täglich sichere und hochwertige Lebensmittel genießen können. Die deutsche Lebensmittelwirtschaft umfasst dabei die gesamte Lebensmittelkette – von der Erzeugung, Veredelung, Verarbeitung bis zur Vermarktung an den Endverbraucher.