Position/Stellungnahme

Stellungnahme zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken – Transparenz bei der Lebensmittelkontrolle ermöglichen“ (BT-Drucksache 19/25544)

- Die Lebensmittelwirtschaft hält eine Verschiebung des behördlichen Instrumentariums weg von den ordnungspolitischen Maßnahmen (konsequenter Vollzug des geltenden Rechts) hin zu Maßnahmen einer Verhaltensänderung durch Veröffentlichung (im Internet oder durch Aushang), d. h. durch Marktdruck, für nicht zielführend und angesichts fehlender Ressourcen auf Seiten der amtlichen Lebensmittelüberwachung für rechtlich bedenklich.

Amtliche Lebensmittelüberwachung stärken

Mit Blick auf das Thema „Lebensmittelkontrolle“ ist darauf hinzuweisen, dass sich die Lebensmittelwirtschaft vollumfänglich zu der ihr obliegenden Hauptverantwortung für die Sicherheit bzw. gesundheitliche Unbedenklichkeit der Lebensmittel bekennt. Sie setzt diese in der täglichen Praxis aktiv durch eine Vielzahl qualitätssichernder Maßnahmen sowie weitere Kontrollen durch externe, unabhängige Auditoren auf der Grundlage privatrechtlicher Standards um. Die stichprobenweise Überprüfung der Maßnahmen der Eigenkontrolle und die Bewertung ihrer Wirksamkeit erfolgt völlig zu Recht durch die staatliche Ebene und ist als ergänzende „Kontrolle der Kontrolle“ unverzichtbar. Die Herausforderungen im Rahmen des europäischen Binnenmarkts sowie des zunehmenden weltweiten Handels mit Lebensmitteln sind vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung und des Nachfrageverhaltens der Verbraucher:innen in den letzten Jahren sogar noch deutlich gestiegen. Die amtliche Lebensmittelüberwachung kontrolliert die Betriebe zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit heute nach einem risikoorientierten Ansatz. Manche Betriebe werden daher häufiger kontrolliert als andere.

Dieser Ansatz, die amtliche Überwachung nicht zuletzt aufgrund der begrenzten personellen wie finanziellen Ressourcen risikoorientiert auszugestalten, d. h. Lebensmittelunternehmen in Abhängigkeit von ihrer Größe, der Art ihrer Produkte, ihrer Vermarktungsstrategien, ihrer bisherigen Überwachungsergebnisse und der Funktionsfähigkeit ihrer Eigenkontrollsysteme einzustufen und entsprechend in unterschiedlicher Häufigkeit zu inspizieren, ist nach wie vor richtig.

Unabhängig davon sind eine hoch qualifizierte, effizient arbeitende und personell wie finanziell gut ausgestattete amtliche Lebensmittelüberwachung und ein bundes- sowie EU-weit einheitlicher Vollzug des Lebensmittelrechts auch für die Lebensmittelwirtschaft unerlässlich. Dazu gehören auch eine angemessene Vernetzung und eine funktionierende IT-Infrastruktur zum Datenaustausch zwischen den unterschiedlichen Ebenen.

Vorrang des Regelvollzugs bei begrenzten Ressourcen

Dabei erscheint allerdings eine Befähigung und Stärkung der Kapazitäten der amtlichen Lebensmittelüberwachung zur Durchführung der vorgesehenen Regel- und Anlasskontrollen in den Unternehmen, d. h. im Regelvollzug, insbesondere für die Gewährleistung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Food-Fraud-Prävention vorrangiger als die Übertragung neuer zusätzlicher (Informations-)Aufgaben. Zusätzliche (Informations-) Aufgaben erfordern vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Vollzug zwingend weitere personelle wie finanzielle Ressourcen, deren Bereitstellung durch Länder und Kommunen derzeit aber nicht absehbar ist. Jede politisch gewollte Ausweitung der Aufgaben der amtlichen Lebensmittelüberwachung setzt daher zwingend eine adäquate Aufstockung der zur Verfügung stehenden Ressourcen voraus, um im Vollzug rechtsstaatlichen Defiziten zu Lasten der betroffenen Unternehmen vorzubeugen.

Hohe rechtsstaatliche Anforderungen an bewertende Veröffentlichung von Kontrollergebnissen

 

Die Veröffentlichung einer mit Amtsautorität ausgestatteten Bewertungsentscheidung (Smiley, Kontrollbarometer, Hygieneampel) stellt als staatlicher Wettbewerbseingriff in den Markt ein Instrument staatlicher Verbraucherinformation dar, an das hohe rechtsstaatliche Anforderungen zu stellen sind. Aufgrund der bewertenden Einstufung der Betriebe durch den Staat hat das Instrument unmittelbare Auswirkungen auf den Wettbewerb. Dieses ist daher gleichheitskonform auszugestalten.

Um die Veröffentlichung vergleichender Bewertungsentscheidungen gleichheitskonform auszugestalten, ist es zudem erforderlich, dass Kontrollen repräsentativ vorgenommen werden, d. h. nach denselben Kriterien in grundsätzlich gleicher Frequenz und durch fachlich geschultes Personal. Es ist jedoch fraglich, ob dieses mit dem derzeitigen Überwachungssystem zu vereinbaren ist, das risikoorientiert ausgestaltet ist (§ 6 Allgemeine Verwaltungsvorschrift Rahmenüberwachung – AVV-RÜb). An die risikoorientierte Kontrollfrequenz knüpfen die bislang vorgeschlagenen Transparenzsysteme jedoch bewusst an, nicht zuletzt um keinen zusätzlichen Überwachungsaufwand für die Behörden zu schaffen. Betriebe, die z. B. aufgrund des Tätigkeitsbereichs risikobehafteter und dementsprechend eingeordnet sind, werden automatisch häufiger kontrolliert, was unter sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten sinnvoll ist, jedoch hinsichtlich der aus Transparenzgründen angedachten Veröffentlichung der Kontrollergebnisse im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 Grundgesetzt zumindest fraglich erscheint. Zudem fehlt es in der Praxis regelmäßig an einer einheitlichen Frequenz der Kontrollen, die der Veröffentlichung zugrunde liegen sollte. Während die Kontrolldichte bei einigen Unternehmen tägliche oder wöchentliche Abstände beträgt, werden andere (vergleichbare) Unternehmen in einem mehrjährigen Überwachungszyklus kontrolliert.

Derzeitige Ressourcen der Überwachung reichen für das verfassungskonforme Betreiben einer bewertenden Veröffentlichung von Kontrollergebnissen nicht aus

Um halbwegs aktuelle, vergleichbare und aussagekräftige, d. h. repräsentative Überwachungsergebnisse für den Verbraucher zu gewährleisten, setzt ein Eingriff in den Wettbewerb kontinuierliche, zeitlich eng getaktete Kontrollen der Vergleichsunternehmen voraus. Eine solche Gleichbehandlung sämtlicher Unternehmen muss schon aus den beschriebenen Wettbewerbsgründen gewährleistet sein. Die gebotene Gleichbehandlung der Unternehmen ist aber auch Kehrseite und Bedingung der Vergleichbarkeit aus Verbraucher:innensicht. Eine für Verbraucher:innen aussagekräftige Vergleichbarkeit wird nämlich nur dann erreicht, wenn ihren Entscheidungen halbwegs vergleichbare aktuelle und repräsentative Ergebnisse zugrunde liegen. Es erscheint aber mehr als fraglich, ob ein mehrere Monate oder gar über ein Jahr zurückliegendes Transparenzbarometer tatsächlich noch eine für die (aktuelle) Information der Verbraucher:innen aussagekräftige Grundlage über den (Hygiene-)Status eines Lebensmittelbetriebs liefern kann.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Kernfrage, ob die amtliche Lebensmittel-überwachung aufgrund ihrer Struktur und ihrer Ausstattung derzeit tatsächlich in der Lage ist, die Aktualität und Aussagekraft einer bewertenden Veröffentlichung zu gewährleisten und dem betroffenen Unternehmen nach Mängelbeseitigung zur Rehabilitierung zeitnah eine zusätzliche (ggf. gebührenpflichtige) amtliche Kontrolle mit Neubewertung anbieten kann.

Aufgrund der mit der bewertenden Veröffentlichung von Kontrollergebnissen bewirkten Lenkungsfunktion und des damit verbundenen intensiven Grundrechtseingriffs kommt der Aktualität und Aussagekraft der Information sowie der zeitnahen Rehabilitierungs-möglichkeit für die betroffenen Lebensmittelunternehmer:innen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eine besondere Bedeutung zu.

Eine Information über die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung ist nur gerechtfertigt, solange sie aktuell ist. Dies erkennt auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 105, 252 (272)) an, welches ausführt, dass „[die] inhaltliche Richtigkeit einer Information […] grundsätzlich Voraussetzung dafür [ist], dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert“. Da die amtliche Kontrolle nur eine Momentaufnahme abbilden kann, muss die zeitnahe Möglichkeit bestehen, die Information darüber zu aktualisieren, sobald eine Änderung der tatsächlichen Situation sichtbar eingetreten ist (z. B. Feststellung der Behebung des Mangels im Rahmen der Nachkontrolle bzw. eine zusätzliche Kontrolle). An die verfassungsmäßige Ausgestaltung der bewertenden Veröffentlichung von Kontrollergebnissen muss deshalb eine verfassungskonforme Vollzugspraxis anschließen, um die betroffenen Lebensmittelunternehmer:innen nicht unangemessen in ihren Grundrechten zu beeinträchtigen.

Nach den Erkenntnissen des Lebensmittelverbands Deutschland aus den bisherigen Diskussionen mit dem Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure (BVLK) zum Thema Smiley/Kontrollbarometer/Transparenzbarometer sowie nach den Informationen zu den vorhandenen personellen wie finanziellen Ressourcen der amtlichen Lebensmittelüberwachung bestehen erhebliche Zweifel, ob die nach Mängelbeseitigung zur Rehabilitierung notwendige Vornahme einer zeitnahen, zusätzlichen amtlichen Kontrolle mit Neubewertung in der Vollzugspraxis tatsächlich regelmäßig gewährleistet werden kann.

Für die verfassungskonforme Umsetzung einer bewertenden Veröffentlichung von Kontrollergebnissen in der Praxis würde es daher einer erheblichen Aufstockung der personellen und finanziellen Ressourcen der amtlichen Lebensmittelüberwachung in Ländern und Kommunen bedürfen, die derzeit nicht absehbar ist. Die Strukturen von Lebensmittelwirtschaft und Lebensmittelüberwachung in Dänemark, das die immer wieder als „Musterfall“ herangezogene Smiley-Kennzeichnung eingeführt hat, sind aber wegen der bestehenden Unterschiede nicht einfach und ungeprüft auf Deutschland übertragbar. Wenn in Deutschland politisch ein „Smiley-System“ wie in Dänemark gewollt wird, dann müssen auch die Strukturen in der amtlichen Überwachung vorher so angepasst werden, dass das deutsche System auch wie in Dänemark betrieben werden kann. Jedes „Rosinenpicken“ der ausschließlich vorteilhaften verbraucherpolitischen Aspekte unter Ignorierung der erforderlichen kostenträchtigen Ressourcenaufstockung auf Seiten der Überwachungsbehörden geht aber vollumfänglich zu Lasten der betroffenen Unternehmen. Dies ist für die Lebensmittelwirtschaft nicht akzeptabel!


Stellungnahme zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften (BT-Drucksache 19/25319)

Der Lebensmittelverband Deutschland begrüßt die Tatsache, dass sich die Bundesregierung mit einer Überarbeitung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) befasst und dieses an das EU-Recht bzw. die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie der nationalen Obergerichte anpasst. Die notwendigen Anpassungen, die sich aus dem Geltungsbeginn der neuen EU-Kontrollverordnung (Verordnung (EU) 2017/625) ergeben sowie die Streichung obsoleter Begriffsbestimmungen sind in weiten Teilen nachvollziehbar.

Zu den Schwerpunkten im Einzelnen:

1. Gleichgestellte Stoffe – Änderung des § 2 Absatz 3 Satz 2 und Artikel 7 Absatz 2 und 3 LFGB (Artikel 1, Ziffer 3 b); Artikel 1, Ziffer 7 und Artikel 3 des Entwurfs)

Der Lebensmittelverband Deutschland (vormals BLL) hat die bisherige Regelung des § 2 Absatz 3 LFGB von Anfang an unter Verweis auf das Unionsrecht und die ständige Rechtsprechung des EuGH als rechtswidrig kritisiert. Seit der Entscheidung des EuGH vom 19. Januar 2017 (Rs. C-282/15), in der das pauschale Verbot von Aminosäuren in konsequenter Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung für unionsrechtswidrig erklärt worden ist, steht die Abänderung des § 2 Absatz 3 Satz 2 LFGB aus. In der Amtlichen Begründung wird ergänzend zu Recht auf die einschlägige Rechtsprechung der Bundesgerichte auf nationaler Ebene verwiesen.

Die vollständige Aufhebung von § 2 Absatz 3 Satz 2 LFGB im vorliegenden Entwurf wird deshalb vom Lebensmittelverband Deutschland als folgerichtig und längst überfällig begrüßt.

Die neuen Ermächtigungen für Verbote und Höchstmengen in Artikel 7 Absatz 2 und Absatz 3 des Entwurfs sind bei unionsrechtskonformer Ausgestaltung der künftigen Regelungen nicht per se kritikwürdig. Allerdings stellt sich die Frage, ob solche Regelungen angesichts der entsprechenden Unionsvorschriften überhaupt benötigt werden.

Artikel 3 des Gesetzentwurfes betreffend das Gesetz über den Übergang auf das neue Recht der bislang den Zusatzstoffen gleichgestellten Stoffe ist aus Sicht des Lebensmittelverbands Deutschland allerdings offensichtlich unionsrechtswidrig und deshalb ersatzlos zu streichen. Pauschalverbote von Stoffen, die nicht von einer differenzierten Risikoanalyse getragen sind, verstoßen – wie das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) selbst in einem Informationsschreiben an die betroffenen Verbände vom 15. Februar 2017 ausführt – gegen die grundlegenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Artikeln 6 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, die ihrerseits unmittelbare Geltung haben. Schon aus diesem Grunde und mit Blick auf die vorzitierte Rechtsprechung des EuGH können unionsrechtswidrige Pauschalverbote auch nicht unter Berufung auf angebliche Strafbarkeitslücken und Lücken in der Bußgeldbewährung übergangsweise gerechtfertigt und in einer Übergangsregelung aufrechterhalten werden. Und das gilt für die unionsrechtlich umfassend für den Zusatz zu Lebensmitteln zugelassenen Mineralstoffe grundsätzlich ebenso wie für die Vitamine A und D, die erneut pauschal verboten werden.

Eine solche unionsrechtswidrige Übergangsregelung ist auch aus Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes nicht notwendig, da das BMEL im vorgenannten Schreiben vom 15. Februar 2017 zu Recht darauf hinweist, das bis zum Erlass EU-Recht-konformer Regelungen die allgemeinen lebensmittelrechtlichen Regelungen selbstverständlich gültig bleiben. Die zuständigen Behörden können (aufgrund des Zusatzes von Aminosäuren) gesundheitlich bedenkliche Produkte jederzeit nach Artikel 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2992 beanstanden.

Die mit dem Entwurf verfolgte Stützung von behördlichen Beanstandungen auf eine übergangsweise Aufrechterhaltung rechtswidriger Pauschalverbote dürfte bis zum Erlass EU-Recht-konformer Regelungen unnötigerweise eine Vielzahl neuer gerichtlicher Auseinandersetzungen auslösen. Schon aus diesem Grunde empfiehlt sich eine Streichung des Artikel 3 des vorliegenden Entwurfs.

2. Namensveröffentlichungen – Änderung des § 40 Absatz 1a LFGB (Artikel 1 Ziffer 28 des Entwurfs)

Die Regelung des § 40 Absatz 1a LFGB und insbesondere ihre mangelnde Kohärenz zu § 40 Absatz 1 LFGB steht seit ihrer Einführung völlig zu Recht in der Kritik nicht nur der Lebensmittelwirtschaft, sondern auch der Bundesländer und der lebensmittelrechtlichen Kommentarliteratur. Aus diesem Grunde hat die Vorschrift zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen durch sämtlichen Instanzen ausgelöst. Leider wird mit dem vorliegenden Entwurf erneut die Chance vertan, die Norm der längst überfälligen und von allen Seiten geforderten Generalrevision zu unterziehen, um für alle Beteiligten Rechtssicherheit zu schaffen und den Rechtsvollzug der Norm dauerhaft zu befrieden.

Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvF 1/13) vom 21. März 2018 wurde klargestellt, dass eine zeitliche Begrenzung, mithin eine bundesgesetzliche Regelung einer Löschungsfrist zwingend verfassungsrechtlich geboten ist. Das Gericht erkannte zudem ausdrücklich an, dass der Veröffentlichung gerade von nicht endgültig festgestellten oder bereits behobenen Rechtsverstößen über das Internet eine potentiell hohe Grundrechtsbeeinträchtigung der betroffenen Unternehmen in Form eines erheblichen Verlusts des Ansehens und von Umsatzeinbußen bis hin zur Existenzvernichtung gegenübersteht. Der Senat definierte schließlich klare Vorgaben an den Vollzug der Norm mitsamt der ausdrücklichen Aufforderung zur verfassungskonformen Anwendung des § 40 Absatz 1a LFGB. Die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der Norm ist danach stets nur unter der Prämisse einer verfassungskonformen Anwendung gewährleistet.

Die nicht ausreichende Beachtung der durch den Beschluss statuierten Anforderungen an einen verfassungskonformen Vollzug durch die Behörden wird daher angesichts der massiven wirtschaftlichen Folgen einer Namensveröffentlichung für die betroffenen Unternehmen, die aufgrund der Reputationsverluste bekanntlich bis zur Existenzgefährdung oder sogar zur Existenzvernichtung gehen können, zu weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen führen. Schon vor diesem Hintergrund hat der Lebensmittelverband Deutschland das BMEL mehrfach auf die zwingende Notwendigkeit hingewiesen, Wortlaut und Systematik des § 40 LFGB nochmals grundlegend zu überarbeiten (https://www.lebensmittelverband.de/de/verband/positionen/20180605-stellungnahme-zum-beschluss-des-bverfg-zu-paragraf-40-abs-1a-lfgb).

Insgesamt fehlt es der Norm weiterhin an einem soliden Fundament, welches vor allem die Schieflage zwischen § 40 Absatz 1 LFGB (Gefahrenabwehrnorm) und § 40 Absatz 1a LFGB (Transparenznorm) bereinigt. Eine Generalrevision des § 40 LFGB ist daher aus Sicht der deutschen Lebensmittelwirtschaft nach wie vor zwingend vonnöten und auch durch die wiederholten Nachbesserungen keineswegs obsolet geworden. Schon vor dem Hintergrund der fehlenden Kohärenz des § 40 Absatz 1 und § 40 Absatz 1a LFGB bleibt es erforderlich, Wortlaut und Systematik des § 40 LFGB nochmals grundlegend zu überarbeiten. Hierfür hat der Lebensmittelverband Deutschland mehrfach seine Mitarbeit angeboten, da nur im Wege einer Generalrevision des § 40 LFGB für Behörden, Verbraucher:innen und Lebensmittelwirtschaft Rechtssicherheit geschaffen werden kann, um so eine Befriedung der Lage herbeizuführen. Entsprechende Vorschläge hierzu seitens der Rechtswissenschaft liegen auch bereits vor (siehe Möstl/Becker/Holle/Hufen/Leible/Rathke/Schroeder/Streinz in ZLR 2017, S. 535 ff.).

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die in Artikel 1 Ziffer 28 c) cc) des Entwurfs vorgesehene Änderung des § 40 Absatz 1a LFGB, bei Verstößen gegen hygienische Anforderungen in der behördlichen Information statt der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels künftig auch den Betrieb nennen zu dürfen, in dem der Verstoß festgestellt wurde, einmal mehr den politischen Handlungsbedarf im Hinblick auf Veröffentlichungen von originär behördlichen Informationen/Dokumenten auf nicht staatlichen Portalen wie „Topf Secret“ deutlich macht.

So wird mit der vorgesehenen Änderung des § 40 Absatz 1a LFGB eine weitere Fallkonstellation geschaffen, mit der künftig originäre, behördliche Informationen über Hygieneverstöße in Betrieben zum einen auf einem staatlichen Portal unter klaren verfassungsrechtlichen Vorgaben, zum anderen auf privaten Portalen (außerhalb der Verfügungshoheit der Behörden) unter rechtlich unklaren, weil strittigen Voraussetzungen veröffentlicht werden können. Aus diesem Grunde besteht aus Sicht des Lebensmittelverbands dringender politischer Handlungsbedarf, um ein Auseinanderfallen der rechtlichen Anforderungen an die Offenlegung von originär behördlichen Informationen über Unternehmen auf privaten Portalen (nach VIG-Abfrage) und auf staatlichen Portalen (über § 40 LFGB) zu verhindern. Bund und Länder sind aufgefordert, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der einerseits die Verfügungshoheit der Behörden bei der Veröffentlichung von originär behördlichen Informationen über Unternehmen wahrt und andererseits die Grundrechte der Unternehmen angemessen schützt.

3. Produktrückrufe – Änderung des § 44 Absatz 3 LFGB (Artikel 1 Ziffer 33 b) des Entwurfs)

EU-Rechtswidrigkeit des vorgeschlagenen § 44 Absatz 3 LFGB
Geordnete Aufzeichnungen zur Rückverfolgbarkeit und das Vorhalten eines funktionierenden Systems der Rückverfolgbarkeit sind auch aus Sicht des Lebensmittelverbands Deutschland ein wichtiges Instrument für ein effektives Krisenmanagement im Unternehmen, um den Behörden zügig präzise Informationen liefern zu können. Aus diesem Grunde ist den Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft in aller Regel im eigenen Interesse sehr daran gelegen, im Krisen- bzw. Ereignisfall den Behörden der amtlichen Lebensmittelüberwachung möglichst schnell die „richtigen“ Daten zur Verfügung zu stellen, um den (eigenen) Schaden durch Ereignis- oder Krisenfälle in engen Grenzen zu halten. Der überwiegende Teil der Unternehmen hat dazu die rechtlich geforderten Rückverfolgbarkeitssysteme eingerichtet. Es ist aber nachvollziehbar, dass es ein Interesse der amtlichen Lebensmittelüberwachung gibt, einzelne „Problemfälle“ besser in den Griff zu bekommen. Dabei sind aber sowohl im Hinblick auf die nationale Rechtsetzung als auch für den Vollzug zum einen die bestehenden Vorgaben des EU-Rechts, zum anderen – gerade in Zeiten der Aufarbeitung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie – die betrieblichen Machbarkeiten zu beachten.

Aus Sicht der deutschen Lebensmittelwirtschaft bestehen erhebliche Bedenken, dass § 44 Absatz 3 LFGB (neu) gegen die harmonisierten, materiellen rechtlichen Vorgaben in Artikel 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (und Durchführungsverordnung (EU) Nr. 931/2011) verstößt und damit EU-rechtswidrig ist.

So wurde gerade die Ausgestaltung der Regelungen zu Artikel 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vor ihrer Verabschiedung vom EU-Gesetzgeber sehr intensiv im Rechtsetzungsverfahren diskutiert. In diesem Zusammenhang wurde von Seiten der Lebensmittelwirtschaft mehrfach darauf hingewiesen, dass die (berechtigte) Zielvorgabe zur Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit einen äußerst breiten Adressatenkreis von multinationalen Unternehmen und Großunternehmen über mittelständische Betriebe bis zu kleinen und Kleinst-Unternehmen und Direktvermarktern betrifft. Aus diesem Grunde wurde den Lebensmittelunternehmer:innen im Hinblick auf die Ausgestaltung der Systeme und der Umsetzungswege von Seiten des EU-Gesetzgebers ganz bewusst ein gewisses Maß an Flexibilität gelassen (siehe dazu auch die als Schlussfolgerungen des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit verabschiedeten Leitlinien für die Anwendung der Artikel 11, 12, 14, 17, 18, 19 und 20 der Verordnung Nr. 178/2002 über das allgemeine Lebensmittelrecht in der Fassung vom 26. Januar 2010, Artikel 18 III.3.2. v)). Es ist darum stets zwischen den rechtlichen Anforderungen zur Rückverfolgbarkeit und freiwilligen, zusätzlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit im Unternehmen zu unterscheiden.

Diese vom EU-Gesetzgeber ganz bewusst gewährte Flexibilität kann und darf nicht durch nationale Sonderregelungen pauschal für sämtliche Unternehmen eingeschränkt werden. So wird in Artikel 18 III.3.2. v) der vorgenannten Leitlinien des Ständigen Ausschusses, denen die Bundesregierung zugestimmt hat, völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass

„nach Artikel 18 Lebens- und Futtermittelunternehmen Systeme und Verfahren einrichten müssen, mit denen die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte gewährleistet ist. Einzelheiten über diese Systeme werden in dem Artikel zwar nicht genannt, die Begriffe „Systeme“ und „Verfahren“ unterstellen jedoch einen strukturierten Mechanismus, der auf Aufforderung der zuständigen Behörden die gewünschten Informationen liefern kann.

die Entwicklung eines Systems für die Rückverfolgbarkeit nicht notwendigerweise impliziert, dass ein Lebens- und Futtermittelunternehmen über ein spezielles System verfügen muss. Die Anforderung zur Bereitstellung von Informationen ist von Bedeutung, nicht das Format, in dem diese geführt werden. Die Aufzeichnungen zur Rückverfolgbarkeit sind so zu organisieren, dass sie auf Anforderung ohne eine unangemessene Verzögerung hinsichtlich der Anforderungen gemäß Artikel 19 verfügbar sind“.

In Artikel 18 Kapitel III.3 der EU-Leitlinien wird ferner darauf hingewiesen, dass „vorbehaltlich genauerer (ergänzt: unionsrechtlicher) Einzelbestimmungen die Industrie mit diesem allgemeinen Ansatz mehr Spielraum bei der Anwendung der Vorschriften hat, wodurch voraussichtlich die durch Verstöße verursachten Kosten gesenkt werden“. Ausreichend ist auch nach der Kommentarliteratur eine Dokumentation des Warenein- und -ausgangs durch gegliederte und geordnete schriftliche Aufzeichnungen in Papierform oder in elektronischer Form (Meyer, in Meyer/Streinz, BasisVO, Art. 18, Rn. 19).

Nach dem ausdrücklichen Willen der rechtsetzenden Organe der Europäischen Union sollen danach Unternehmen, die den geforderten systematischen, d. h. strukturierten Mechanismus zur Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit umgesetzt haben, nicht auf bestimmte (Daten-)Formate verpflichtet werden können. Dieser politische Wille wurde von der Bundesregierung im Rat ausdrücklich unterstützt. Diese Entscheidung des EU-Gesetzgebers würde durch die neu vorgeschlagene Änderung des § 44 Absatz 3 LFGB unterlaufen, wenn zwingend eine „elektronische Übermittlung“ oder gar weitergehende Vorgaben an ein bestimmtes Datenformat – unabhängig von der Größe – vorgeschrieben werden. Dies beträfe dann nämlich auch sämtliche Klein- und Kleinstbetriebe, die die Rückverfolgbarkeitsvorgaben des Artikel 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 bereits EU-rechtskonform, z. B. durch ein strukturiertes, geordnetes papiergebundenes System, umgesetzt haben.

Auch und gerade die von den Bundesländern geforderte, noch weitergehende zwingende Vorgabe eines einheitlichen Datenformats zur beschleunigten Aufklärung in Ereignis- und Krisenfällen wäre rechtlich nur durch eine vorherige Änderung der unionsrechtlichen Vorgaben umsetzbar. Deshalb ist in der amtlichen Begründung zu § 44 Absatz 3 LFGB (neu) mit der nachstehenden, ausdrücklich begrüßten Formulierung zu Recht klargestellt worden, dass durch die Neufassung kein einheitliches Datenformat zwingend eingefordert wird:

„Vorzugswürdig ist eine Übermittlung in einem maschinenlesbaren Format, wie beispielweise als xls-Datei, da diese von den zuständigen Behörden schnell und unkompliziert weiterverarbeitet werden können. Verzögerungen bei der Rückverfolgung beispielsweise unsicherer Erzeugnisse können dadurch vermieden werden. Andere Formate wie z. B. PDF, JPEG oder eine einfache E-Mail genügen jedoch auch den gesetzlichen Anforderungen.“

Auch wenn sich seit dem Jahr 2002 die digitale Ausstattung vieler kleiner Unternehmen weiterentwickelt hat, darf die bewusst getroffene Entscheidung des EU-Gesetzgebers für eine flexible Ausgestaltung der Rückverfolgbarkeitsvorgaben in Artikel 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 nicht durch zu weitgehende nationale Sonderregelungen unterlaufen werden. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat das BMEL den bisherigen § 44 Absatz 3 Satz 2 LFGB im Wortlaut so gefasst wie er heute gilt! In diesem Sinne kommentiert auch Zipfel/Rathke, § 44 LFGB, Rn. 40 mit Verweis auf Boch: „Eine Verpflichtung zur elektronischen Erfassung von Daten ergibt sich aus der Vorschrift nicht (so Boch, Das deutsche Bundesrecht § 44 LFGB Rdn. 3)“.

Politisch für notwendig gehaltene Anpassungen der harmonisierten rechtlichen Vorgaben sind daher zunächst auf EU-Ebene zu diskutieren und zu verabschieden.
Auch im Hinblick auf die Reaktionszeit wurde im Wortlaut des Artikels 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ganz bewusst aufgrund des heterogenen Adressatenkreises nach intensiver Diskussion im Rechtsetzungsverfahren auf die Aufnahme einer exakt bezifferten Frist verzichtet und zur Verhinderung einer unangemessenen Verzögerung von Rücknahmen bzw. Rückrufen nach Artikel 19 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 der unbestimmte Rechtsbegriff „unverzüglich“ aufgenommen. Damit sollte zum einen deutlich gemacht werden, dass die Rückverfolgbarkeitsdaten „so schnell wie möglich“ zu übermitteln sind, eine genaue zeitliche Vorgabe oder eine Maximalfrist aber den unterschiedlichen betroffenen Unternehmensgrößen und damit verbunden den unterschiedlichen Möglichkeiten nicht gerecht werden kann. Schon vor diesem Hintergrund erscheint es aus Sicht des Lebensmittelverbands bedenklich, Unternehmen, die den geforderten systematischen, d. h. strukturierten Mechanismus zur Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit gemäß des geltenden EU-Rechts umgesetzt haben, auf die nunmehr vorgesehene Übermittlungsfristen von „spätestens 24 Stunden“ zu verpflichten.

Die in der übermittelten Neufassung des § 44 Absatz 3 LFGB zwingend vorgeschriebenen Anforderungen der elektronischen Vorhaltung und Übermittlung der Rückverfolgbarkeits-daten sowie der 24-Stundenfrist verstoßen damit aus Sicht der deutschen Lebensmittel-wirtschaft gegen geltendes EU-Recht, zumal sie pauschal auch auf Unternehmen Anwendung finden, die bereits eigene, funktionierende Rückverfolgbarkeitssysteme gemäß Artikel 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 eingerichtet haben.

Wirtschaftliche Folgen bzw. fehlende Machbarkeit
Neben diesen rechtlichen Bedenken stellt sich darüber hinaus aber auch die Frage der praktischen Umsetzbarkeit bzw. Machbarkeit für sämtliche Betriebe. Wie bereits dargestellt, betrifft die (berechtigte) Zielvorgabe zur Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit in Artikel 18 Verordnung (EG) Nr.178/2002 einen äußerst breiten Adressatenkreis von multinationalen Unternehmen und Großunternehmen über mittelständische Betriebe bis zu kleinen und Kleinst-Unternehmen und Direktvermarkter:innen. Die zwingende Anforderung einer elektronischen Vorhaltung und Übermittlung der Rückverfolgbarkeitsdaten in besonderen Datenformaten wäre für kleine Betriebe, insbesondere im Bereich des Handwerks und der Gastronomie, mit erheblichen zusätzlichen Kostenbelastungen verbunden. Dabei ist festzuhalten, dass gerade diese Betriebe derzeit stark von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie betroffen sind und bereits ohne die mit der Neuregelung des § 44 Absatz 3 LFGB verbundenen Zusatzkosten um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen. Die zwingende Anforderung einer elektronischen Vorhaltung und Übermittlung der Rückverfolgbarkeitsdaten oder der Einrichtung eines elektronischen Warenwirtschaftssystems würde deshalb über die rechtlichen Bedenken hinaus die wirtschaftlichen Probleme der betroffenen Kleinbetriebe in nicht zu rechtfertigender Art und Weise erhöhen.

Die im Gesetzentwurf als Ausnahme vorgesehene Härtefallregelung im Einzelfall dürfte demgegenüber schon aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe und des weiten behördlichen Ermessensspielraumes keine Lösung der vorstehenden Probleme bringen und damit nicht zu einer Entlastung der betroffenen Unternehmen beitragen. Vielmehr kann eine unterschiedliche Vollzugspraxis dieser Härtefallregelung zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn bestimmte Unternehmen eine Ausnahme erteilt bekommen, aber vergleichbare Unternehmen in anderen Bundesländern keine Ausnahme erhalten.