Position/Stellungnahme

Stellungnahme zu dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften gegenüber dem Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz des Bundesrates

- Der Lebensmittelverband Deutschland begrüßt die Tatsache, dass sich die Bundesregierung nach langer Ankündigung nun mit einer Überarbeitung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) befasst und dieses an das EU-Recht bzw. die Rechtsprechung des EuGH sowie der nationalen Obergerichte anpasst. Die notwendigen Anpassungen, die sich aus dem Geltungsbeginn der neuen EU-Kontrollverordnung (Verordnung (EU) 2017/625) ergeben sowie die Streichung obsoleter Begriffsbestimmungen sind in weiten Teilen nachvollziehbar.

Allgemeine Anmerkungen:

Mit Blick auf den derzeit politisch stark thematisierten Bereich amtliche Lebensmittelüberwachung und die dazu im vorliegenden Entwurf enthaltenen Rechtsänderungen möchten wir allgemein vorausschicken, dass die stichprobenweise Überprüfung der Maßnahmen der Eigenkontrolle und die Bewertung ihrer Wirksamkeit aus Sicht der deutschen Lebensmittelwirtschaft völlig zu Recht durch die staatliche Ebene erfolgt und als ergänzende Kontrolle der Kontrolle unverzichtbar sind. Die Herausforderungen im Rahmen des europäischen Binnenmarktes sowie des zunehmenden weltweiten Handels mit Lebensmitteln sind vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung und des Nachfrageverhaltens der Verbraucher in den letzten Jahren sogar noch deutlich gestiegen. Nicht zuletzt deshalb sind nach Auffassung des Lebensmittelverbands Deutschland eine hoch qualifizierte, effizient arbeitende und personell wie finanziell gut ausgestattete amtliche Lebensmittelüberwachung und ein bundes- sowie EU-weit einheitlicher Vollzug des Lebensmittelrechts auch für die Lebensmittelwirtschaft unerlässlich.

Dabei erscheint allerdings aus Sicht der deutschen Lebensmittelwirtschaft eine Befähigung und Stärkung der Kapazitäten der amtlichen Lebensmittelüberwachung zur Durchführung der vorgesehenen Regelkontrollen in den Unternehmen, d.h. im Regelvollzug, insbesondere für die Gewährleistung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Food Fraud-Prävention vorrangiger als die Übertragung neuer zusätzlicher (Informations-) Aufgaben, die vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Vollzug noch weitere personelle wie finanzielle Kapazitäten zwingend erfordern (s. auch das Thesenpapier zum Thema „Lebensmittelkontrollen“).

1. Gleichgestellte Stoffe – Änderung des § 2 Abs. 3 Satz 2 und Art. 7 Abs. 2 und 3 LFGB (Art. 1, Ziffer 3 b); Art. 1, Ziffer 7 und Art. 3 des Entwurfs)

Der Lebensmittelverband Deutschland (vormals BLL) hat die bisherige Regelung des § 2 Abs. 3 LFGB von Anfang an unter Verweis auf das Unionsrecht und die ständige Rechtsprechung des EuGH als rechtswidrig kritisiert. Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Januar 2017 (Rs. C-282/15), in der das pauschale Verbot von Aminosäuren in konsequenter Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung für unionsrechtswidrig erklärt worden ist, steht die Abänderung des § 2 Abs. 3 Satz 2 LFGB aus. In der Amtlichen Begründung wird ergänzend zu Recht auf die einschlägige Rechtsprechung der Bundesgerichte auf nationaler Ebene verwiesen.

Die vollständige Aufhebung von § 2 Abs. 3 Satz 2 LFGB im vorliegenden Entwurf wird deshalb vom Lebensmittelverband Deutschland als folgerichtig und längst überfällig begrüßt.

Die neuen Ermächtigungen für Verbote und Höchstmengen in Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 des Entwurfes sind bei unionsrechtskonformer Ausgestaltung der künftigen Regelungen nicht per se kritikwürdig. Allerdings stellt sich die Frage, ob solche Regelungen angesichts der entsprechenden Unionsvorschriften überhaupt benötigt werden. Ferner bestehen aus unserer Sicht noch Bedenken im Hinblick auf Wesentlichkeitstheorie und evtl. auch die Strafbarkeit.

Artikel 3 des Gesetzentwurfes betreffend das Gesetz über den Übergang auf das neue Recht der bislang den Zusatzstoffen gleichgestellten Stoffe ist aus Sicht des Lebensmittelverbands Deutschland demgegenüber offensichtlich unionsrechtswidrig und deshalb ersatzlos zu streichen. Pauschalverbote von Stoffen, die nicht von einer differenzierten Risikoanalyse getragen sind, verstoßen – wie das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) selbst in einem Informationsschreiben an die betroffenen Verbände vom 15. Februar 2017 ausführt– gegen die grundlegenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Artikeln 6 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, die ihrerseits unmittelbare Geltung haben. Schon aus diesem Grunde können unionsrechtswidrige Pauschalverbote auch nicht unter Berufung auf angebliche Strafbarkeitslücken und Lücken in der Bußgeldbewährung übergangsweise gerechtfertigt und in einer Übergangsregelung aufrechterhalten werden. Und das gilt für die unionsrechtlich umfassend für den Zusatz zu Lebensmitteln zugelassenen Mineralstoffe grundsätzlich ebenso wie für die Vitamine A und D, die erneut pauschal verboten werden.

Dies ist auch aus Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes nicht notwendig, da das BMEL im vorgenannten Schreiben vom 15.02.2017 zu Recht darauf hinweist, das bis zum Erlass EU-Recht-konformer Regelungen die allgemeinen lebensmittelrechtlichen Regelungen selbstverständlich gültig bleiben. Die zuständigen Behörden können (aufgrund des Zusatzes von Aminosäuren) gesundheitlich bedenkliche Produkte jederzeit nach Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2992 beanstanden.

Die mit dem Entwurf verfolgte Stützung von behördlichen Beanstandungen auf eine übergangsweise Aufrechterhaltung rechtswidriger Pauschalverbote dürfte demgegenüber aber bis zum Erlass EU-Recht-konformer Regelungen unnötigerweise eine Vielzahl neuer gerichtlicher Auseinandersetzungen auslösen. Schon aus diesem Grunde empfiehlt sich eine Streichung des Art. 3 des vorliegenden Entwurfes.

2. Namensveröffentlichungen – Änderung des § 40 Abs. 1a LFGB (Art. 1 Ziffer 28 des Entwurfs)

Die Regelung des § 40 Abs. 1a LFGB und insbesondere ihre mangelnde Kohärenz zu § 40 Abs. 1 LFGB steht seit ihrer Einführung völlig zu Recht in der Kritik nicht nur der Lebensmittelwirtschaft, sondern auch der Bundesländer und der lebensmittelrechtlichen Kommentarliteratur. Aus diesem Grunde hat die Vorschrift zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen durch sämtlichen Instanzen ausgelöst. Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Entwurf erneut die Chance vertan, die Norm der längst überfälligen und von allen Seiten geforderten Generalrevision zu unterziehen, um für alle Beteiligten Rechtssicherheit zu schaffen und den Rechtsvollzug der Norm dauerhaft zu befrieden.

Bereits im Zuge der Einführung der Norm hat der Lebensmittelverband Deutschland (seinerzeit als BLL) im September 2011 seine Position artikuliert und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sowohl der in § 40 Abs. 1a LFGB angelegte Veröffentlichungsautomatismus als auch das vorgeschriebene Vorgehen bei Verdachtsfällen inakzeptabel sei.

Nachdem einige Oberverwaltungsgerichte Zweifel an der Rechtmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit der Norm angemeldet hatten, wurde seitens der Niedersächsischen Landesregierung ein Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt und der Vollzug bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 1 BvF 1/13) vom 21. März 2018 ausgesetzt. Im August 2014 hatte der Lebensmittelverband (damals BLL) Gelegenheit, gegenüber dem Bundesverfassungsgericht als sachkundiger Dritter eine Stellungnahme im Rahmen des Normenkontrollverfahrens zur Überprüfung des § 40 Abs. 1a LFGB abzugeben. Im Rahmen dieser Stellungnahme wurde dargestellt, dass die Regelung in Widerspruch zu dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht, da die Vorschrift keine zeitliche Begrenzung der Veröffentlichung vorsieht, Bagatellfälle einbezieht und einen bloßen Verdacht eines Verstoßes mit einer gebundenen Entscheidung verknüpft. Indem sie an eine Bußgeldprognose anknüpft, verstoße § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB zudem gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und gegen die rechtstaatlich garantierte Unschuldsvermutung.

Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvF 1/13) vom 21. März 2018 wurde klargestellt, dass eine zeitliche Begrenzung, mithin eine bundesgesetzliche Regelung einer Löschungsfrist zwingend verfassungsrechtlich geboten ist. Das Gericht erkannte zudem ausdrücklich an, dass der Veröffentlichung gerade von nicht endgültig festgestellten oder bereits behobenen Rechtsverstößen über das Internet eine potentiell hohe Grundrechtsbeeinträchtigung der betroffenen Unternehmen in Form eines erheblichen Verlusts des Ansehens und von Umsatzeinbußen bis hin zur Existenzvernichtung gegenübersteht. Der Senat definierte schließlich klare Vorgaben an den Vollzug der Norm mitsamt der ausdrücklichen Aufforderung zur verfassungskonformen Anwendung des § 40 Abs. 1a LFGB. Die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der Norm ist danach stets nur unter der Prämisse einer verfassungskonformen Anwendung gewährleistet.

Die nicht ausreichende Beachtung der durch den Beschluss statuierten Anforderungen an einen verfassungskonformen Vollzug durch die Behörden wird daher angesichts der massiven wirtschaftlichen Folgen einer Namensveröffentlichung für die betroffenen Unternehmen, die aufgrund der Reputationsverluste bekanntlich bis zur Existenzgefährdung oder sogar zur Existenzvernichtung gehen können, zu weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen führen. Schon vor diesem Hintergrund hat der Lebensmittelverband Deutschland das BMEL mehrfach auf die zwingende Notwendigkeit hingewiesen, Wortlaut und Systematik des § 40 LFGB nochmals grundlegend zu überarbeiten.

Aus Sicht der deutschen Lebensmittelwirtschaft ist darauf hinzuweisen, dass das Erste LFGB-Änderungsgesetz vom 24. April 2019 (BGBl. I Nr. 14, S.498) nur punktuell an Symptomen des § 40 Abs. 1a LFGB herumkuriert, die Grundproblematik der Norm aber ebenso wenig beseitigt wie die im vorliegenden Entwurf berücksichtigten weiteren Korrekturen, die lediglich langjährige Forderungen des Bundesrates aufgreifen. Für eine Generalrevision der Norm sprechen auch die im Nachgang zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ergangenen Gerichtsentscheidungen, die § 40 Abs. 1a LFGB zum Gegenstand hatten (z. B. Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15. Januar 2019 (13 B 1587/18). Sie thematisieren und konkretisieren wesentliche Aspekte, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht nicht oder nur rudimentär auseinandergesetzt hat.

Insgesamt fehlt es der Norm weiterhin an einem soliden Fundament, welches vor allem die Schieflage zwischen § 40 Abs. 1 LFGB (Gefahrenabwehrnorm) und § 40 Abs. 1a LFGB (Transparenznorm) bereinigt. Eine Generalrevision des § 40 LFGB ist daher aus Sicht der deutschen Lebensmittelwirtschaft nach wie vor zwingend vonnöten und auch durch die wiederholten Nachbesserungen keineswegs obsolet geworden. Schon vor dem Hintergrund der fehlenden Kohärenz des § 40 Abs. 1 und § 40 Abs. 1a LFGB bleibt es erforderlich, Wortlaut und Systematik des § 40 LFGB nochmals grundlegend zu überarbeiten. Hierfür hat der Lebensmittelverband Deutschland mehrfach seine Mitarbeit angeboten, da nur im Wege einer Generalrevision des § 40 LFGB für Behörden, Verbraucher und Lebensmittelwirtschaft Rechtssicherheit geschaffen werden kann, um so eine Befriedung der Lage herbeizuführen. Entsprechende Vorschläge hierzu seitens der Rechtswissenschaft liegen auch bereits vor (siehe Möstl/Becker/Holle/Hufen/Leible/Rathke/ Schroeder/Streinz in ZLR 2017, S. 535 ff.).

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 1 Ziffer 28 c) cc) des Entwurfs vorgesehene Änderung des § 40 Abs. 1a LFGB, bei Verstößen gegen hygienische Anforderungen in der behördlichen Information statt der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels künftig auch den Betrieb nennen zu dürfen, in dem der Verstoß festgestellt wurde, einmal mehr den politischen Handlungsbedarf im Hinblick auf Veröffentlichungen von originär behördlichen Informationen/ Dokumenten auf nicht staatlichen Portalen wie „Topf Secret“ deutlich macht.

So wird mit der vorgesehenen Änderung des § 40 Abs. 1a LFGB eine weitere Fallkonstellation geschaffen, mit der künftig originäre, behördliche Informationen über Hygieneverstöße in Betrieben zum einen auf einem staatlichen Portal unter klaren verfassungsrechtlichen Vorgaben, zum anderen auf privaten Portalen (außerhalb der Verfügungshoheit der Behörden) unter rechtlich unklaren, weil strittigen Voraussetzungen veröffentlicht werden können. Aus diesem Grunde besteht aus unserer Sicht dringender politischer Handlungsbedarf, um ein Auseinanderfallen der rechtlichen Anforderungen an die Offenlegung von originär behördlichen Informationen über Unternehmen auf privaten Portalen (nach VIG-Abfrage) und auf staatlichen Portalen (über § 40 LFGB) zu verhindern.

Bund und Länder sind aufgefordert, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der einerseits die Verfügungshoheit der Behörden bei der Veröffentlichung von originär behördlichen Informationen über Unternehmen wahrt und andererseits die Grundrechte der Unternehmen angemessen schützt.

3. Produktrückrufe – Änderung des § 44 Abs. 3 LFGB (Art. 1 Ziffer 33 b) des Entwurfs)

Nach dem neuen Entwurf soll § 44 wie folgt geändert werden:

a) In Absatz 1 wird im einleitenden Satzteil die Angabe „§§ 41 bis 43“ durch die Angabe
„§§ 42 bis 43a sowie der Delegierten Verordnung (EU) 2019/2090“ ersetzt.

b) Absatz 3 wird wie folgt geändert:
aa) Satz 2 wird wie folgt gefasst:
„Die in
1. Satz 1 oder
2. Artikel 18 Absatz 3 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, auch in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 767/2009,
genannten Informationen sind so vorzuhalten, dass sie der zuständigen Behörden spätestens 24 Stunden nach Aufforderung elektronisch übermittelt werden können.“

bb) Es wird folgender Satz angefügt:
„Die zuständige Behörde kann im Einzelfall Ausnahmen von den Anforderungen des Satzes 2 zulassen, soweit dies zur Vermeidung unbilliger Härten für den Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmer geboten erscheint und es mit den in § 1 Absatz 1 Nummer 1 genannten Zwecken vereinbar ist.“

EU-Rechtswidrigkeit des vorgeschlagenen § 44 Abs. 3 LFGB

Wie eingangs betont, sind geordnete Aufzeichnungen zur Rückverfolgbarkeit und das Vorhalten eines funktionierenden Systems der Rückverfolgbarkeit auch aus Sicht des Lebensmittelverbands Deutschland ein wichtiges Instrument für ein effektives Krisenmanagement im Unternehmen, um den Behörden zügig präzise Informationen liefern zu können. Aus diesem Grunde ist den Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft in aller Regel im eigenen Interesse sehr daran gelegen, im Krisen- bzw. Ereignisfall den Behörden der amtlichen Lebensmittelüberwachung möglichst schnell die „richtigen“ Daten zur Verfügung zu stellen, um den (eigenen) Schaden durch Ereignis- oder Krisenfälle in möglichst engen Grenzen zu halten. Der überwiegende Teil der Unternehmen hat dazu die rechtlich geforderten Rückverfolgbarkeitssysteme eingerichtet. Es ist aber nachvollziehbar, dass es ein Interesse der amtlichen Lebensmittelüberwachung gibt, einzelne „Problemfälle“ besser in den Griff zu bekommen. Dabei sind aber sowohl im Hinblick auf die nationale Rechtsetzung als auch für den Vollzug zum einen die Vorgaben des EU-Rechts, zum anderen – gerade in Zeiten der Aufarbeitung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie – die betrieblichen Machbarkeiten zu beachten.

Aus Sicht der deutschen Lebensmittelwirtschaft verstößt § 44 Abs. 3 LFGB (neu) gegen die harmonisierten, materiellen rechtlichen Vorgaben in Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (und Durchführungsverordnung (EU) Nr. 931/2011) und ist damit EU-rechtswidrig.

So wurde die Ausgestaltung der Regelungen zu Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vor ihrer Verabschiedung sehr intensiv im Rechtsetzungsverfahren diskutiert. In diesem Zusammenhang wurde von Seiten der Lebensmittelwirtschaft mehrfach darauf hingewiesen, dass die (berechtigte) Zielvorgabe zur Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit einen äußerst breiten Adressatenkreis von multinationalen Unternehmen und Großunternehmen über mittelständische Betriebe bis zu kleinen und Kleinst-Unternehmen und Direktvermarktern betrifft. Aus diesem Grunde wurde den Lebensmittelunternehmern im Hinblick auf die Ausgestaltung der Systeme und der Umsetzungswege von Seiten des EU-Gesetzgebers ganz bewusst ein gewisses Maß an Flexibilität gelassen (siehe dazu auch die als Schlussfolgerungen des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit verabschiedeten Leitlinien für die Anwendung der Artikel 11, 12, 14, 17, 18, 19 und 20 der Verordnung Nr. 178/2002 über das allgemeine Lebensmittelrecht in der Fassung vom 26. Januar 2010, Art. 18 III.3.2. v)). Es ist darum stets zwischen den rechtlichen Anforderungen zur Rückverfolgbarkeit und freiwilligen, zusätzlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit im Unternehmen zu unterscheiden.

Diese vom EU-Gesetzgeber ganz bewusst gewährte Flexibilität kann und darf nicht durch nationale Sonderregelungen pauschal für sämtliche Unternehmen eingeschränkt werden. So wird in Art. 18 III.3.2. v) der vorgenannten Leitlinien des Ständigen Ausschusses, denen die Bundesregierung zugestimmt hat, völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass

„nach Artikel 18 Lebens- und Futtermittelunternehmer Systeme und Verfahren einrichten müssen, mit denen die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte gewährleistet ist. Einzelheiten über diese Systeme werden in dem Artikel zwar nicht genannt, die Begriffe „Systeme“ und „Verfahren“ unterstellen jedoch einen strukturierten Mechanismus, der auf Aufforderung der zuständigen Behörden die gewünschten Informationen liefern kann.

die Entwicklung eines Systems für die Rückverfolgbarkeit nicht notwendigerweise impliziert, dass ein Lebens- und Futtermittelunternehmer über ein spezielles System verfügen muss. Die Anforderung zur Bereitstellung von Informationen ist von Bedeutung, nicht das Format, in dem diese geführt werden. Die Aufzeichnungen zur Rückverfolgbarkeit sind so zu organisieren, dass sie auf Anforderung ohne eine unangemessene Verzögerung hinsichtlich der Anforderungen gemäß Artikel 19 verfügbar sind“.

In Art. 18 Kapitel III.3 der EU-Leitlinien wird ferner darauf hingewiesen, dass „vorbehaltlich genauerer (ergänzt: unionsrechtlicher) Einzelbestimmungen die Industrie mit diesem allgemeinen Ansatz mehr Spielraum bei der Anwendung der Vorschriften hat, wodurch voraussichtlich die durch Verstöße verursachten Kosten gesenkt werden“. Ausreichend ist auch nach der Kommentarliteratur eine Dokumentation des Warenein- und -ausgangs durch gegliederte und geordnete schriftliche Aufzeichnungen in Papierform oder in elektronischer Form (Meyer, in Meyer/Streinz, BasisVO, Art. 18, Rn. 19).

Nach dem ausdrücklichen Willen der rechtsetzenden Organe der Europäischen Union sollen danach Unternehmen, die den geforderten systematischen, d.h. strukturierten Mechanismus zur Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit umgesetzt haben, nicht auf bestimmte (Daten-) Formate verpflichtet werden können. Dieser politische Wille wurde von der Bundesregierung im Rat ausdrücklich unterstützt. Diese Entscheidung des EU-Gesetzgebers würde durch die neu vorgeschlagene Änderung des § 44 Abs. 3 LFGB unterlaufen, wenn zwingend eine „elektronische Übermittlung“ – unabhängig von der Größe – vorgeschrieben wird. Dies beträfe dann nämlich auch sämtliche Klein-und Kleinstbetriebe, die die Rückverfolgbarkeitsvorgaben des Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 bereits EU-rechtskonform, z.B. durch ein strukturiertes, geordnetes papiergebundenes System, umgesetzt haben.

Auch die zwingende Vorgabe eines einheitlichen Datenformats zur beschleunigten Aufklärung in Ereignis- und Krisenfällen wäre rechtlich nur durch eine Änderung der unionsrechtlichen Vorgaben umsetzbar. Deshalb ist in der amtlichen Begründung zu § 44 Abs.3 LFGB (neu) mit der nachstehenden, ausdrücklich begrüßten Formulierung zu Recht klargestellt worden, dass durch die Neufassung kein einheitliches Datenformat zwingend eingefordert wird:

„Vorzugswürdig ist eine Übermittlung in einem maschinenlesbaren Format, wie beispielweise als xls-Datei, da diese von den zuständigen Behörden schnell und unkompliziert weiterverarbeitet werden können. Verzögerungen bei der Rückverfolgung beispielsweise unsicherer Erzeugnisse können dadurch vermieden werden. Andere Formate wie z.B. PDF, JPEG oder eine einfache E-Mail genügen jedoch auch den gesetzlichen Anforderungen.“

In jedem Falle kann und darf die bewusst getroffene Entscheidung des EU-Gesetzgebers für eine flexible Ausgestaltung der Rückverfolgbarkeitsvorgaben in Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 nicht durch konträre nationale Sonderregelungen unterlaufen werden. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat das BMEL den § 44 Abs. 3 Satz 2 LFGB im Wortlaut so gefasst wie er heute gilt! In diesem Sinne kommentiert auch Zipfel/Rathke, § 44 LFGB, Rn. 40 mit Verweis auf Boch: „Eine Verpflichtung zur elektronischen Erfassung von Daten ergibt sich aus der Vorschrift nicht (so Boch, Das deutsche Bundesrecht § 44 LFGB Rdn. 3)“.
Politisch für notwendig gehaltene Anpassungen der harmonisierten rechtlichen Vorgaben sind daher nur auf EU-Ebene zulässig.

Auch im Hinblick auf die Reaktionszeit wurde im Wortlaut des Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ganz bewusst aufgrund des heterogenen Adressatenkreises nach intensiver Diskussion im Rechtsetzungsverfahren auf die Aufnahme einer exakt bezifferten Frist verzichtet und zur Verhinderung einer unangemessenen Verzögerung von Rücknahmen bzw. Rückrufen nach Art. 19 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 der unbestimmte Rechtsbegriff „unverzüglich“ aufgenommen. Damit sollte zum einen deutlich gemacht werden, dass die Rückverfolgbarkeitsdaten „so schnell wie möglich“ zu übermitteln sind, eine genaue zeitliche Vorgabe oder eine Maximalfrist aber den unterschiedlichen betroffenen Unternehmensgrößen und damit verbunden den unterschiedlichen Möglichkeiten nicht gerecht werden kann. Schon vor diesem Hintergrund erscheint es aus unserer Sicht EU-rechtswidrig, Unternehmen, die den geforderten systematischen, d.h. strukturierten Mechanismus zur Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit umgesetzt haben, auf die nunmehr vorgesehene Übermittlungsfristen von „spätestens 24 Stunden“ zu verpflichten.

Die in der übermittelten Neufassung des § 44 Abs. 3 LFGB zwingend vorgeschriebenen Anforderungen der elektronischen Vorhaltung und Übermittlung der Rückverfolgbarkeitsdaten sowie der 24-Stundenfrist verstoßen damit aus Sicht der deutschen Lebensmittelwirtschaft gegen geltendes EU-Recht, zumal sie pauschal auch auf Unternehmen Anwendung finden, die bereits eigene, funktionierende Rückverfolgbarkeitssysteme gemäß Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 eingerichtet haben.

Wirtschaftliche Folgen bzw. fehlende Machbarkeit

Neben den vorrangigen rechtlichen Bedenken stellt sich darüber hinaus aber auch die Frage der praktischen Umsetzbarkeit bzw. Machbarkeit für sämtliche Betriebe. Wie bereits dargestellt, betrifft die (berechtigte) Zielvorgabe zur Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit in Art. 18 Verordnung (EG) Nr.178/2002 einen äußerst breiten Adressatenkreis von multinationalen Unternehmen und Großunternehmen über mittelständische Betriebe bis zu kleinen und Kleinst-Unternehmen und Direktvermarktern. Die zwingende Anforderung einer elektronischen Vorhaltung und Übermittlung der Rückverfolgbarkeitsdaten wäre für kleine Betriebe, insbesondere im Bereich des Handwerks und der Gastronomie, mit erheblichen zusätzlichen Kostenbelastungen verbunden. Dabei ist festzuhalten, dass gerade diese Betriebe derzeit stark von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie betroffen sind und bereits ohne die mit der Neuregelung des § 44 Abs. 3 LFGB verbundenen Zusatzkosten um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen. Die zwingende Anforderung einer elektronischen Vorhaltung und Übermittlung der Rückverfolgbarkeitsdaten würde deshalb über die EU-Rechtswidrigkeit hinaus die Probleme der betroffenen Kleinbetriebe in nicht zu rechtfertigender Art und Weise erhöhen.

Die im Gesetzentwurf als Ausnahme vorgesehene Härtefallregelung im Einzelfall dürfte demgegenüber schon aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe und des weiten behördlichen Ermessensspielraumes keine Lösung der vorstehenden Probleme bringen und damit nicht zu einer Entlastung der betroffenen Unternehmen beitragen. Vielmehr kann eine unterschiedliche Vollzugspraxis dieser Härtefallregelung zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn bestimmte Unternehmen eine Ausnahme erteilt bekommen, aber vergleichbare Unternehmen in anderen Bundesländern keine Ausnahme erhalten.