Position/Stellungnahme

Stellungnahme der Lebensmittelwirtschaft zur Diskussion um die Reform der Amtlichen Lebensmittelüberwachung

- Im Rahmen der Aufarbeitung der wiederholten Vorkommnisse um „Gammelfleisch“ haben die Verbraucherschutzminister der Bundesländer und des Bundes am 07. September 2006 nach intensiven Diskussionen über Kompetenzen und Strukturen der Lebensmittelüberwachung und im Anschluss an das 10 Punkte-Sofortprogramm von Bundesminister Seehofer vom November 2005 einen 13-Punkte-Maßnahmenkatalog verabschiedet. Danach bleibt die bisherige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern unberührt; allerdings beschlossen Bund und Länder, ihre Zusammenarbeit „auch bei der Durchführung der Lebensmittelkontrollen fortzusetzen und zu intensivieren“.

(präsentiert anlässlich des 20. Deutschen Lebensmittelrechtstagesam 22. und 23. März 2007 in Wiesbaden)

I. Politische Initiativen zur Reform der Amtlichen Lebensmittelüberwachung

Das Maßnahmenpaket zielt in erster Linie auf eine verbesserte Ausschöpfung des geltenden Sanktionsrahmens samt Einführung einer Gewinnabschöpfungsmöglichkeit bei Straftaten im Lebensmittelrecht, die zügigere Möglichkeit eines Gewerbeverbots wegen Unzuverlässigkeit bei gravierenden Verstößen gegen das Lebensmittelrecht, die Einführung eines Sachkundenachweises, die Ausweitung der Meldepflicht auf Unternehmen, die Produkte wegen Mängeln zurückweisen und eine verbesserte Kodierung von Waren.

Schon kurze Zeit später, am 10. Oktober 2006, hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) ferner ein Reformpaket zur strukturellen Verbesserung der Amtlichen Lebensmittelüberwachung vorgestellt und damit die Umsetzungsaktivitäten hinsichtlich einiger Kernpunkte des 13-Punkte-Maßnahmenkatalogs beschleunigt. Als Anlass für die Initiative wurden auch vom BMELV die durch die „Gammelfleischvorkommnisse“ festgestellten qualitativen und quantitativen Defizite im Bereich der länderübergreifenden Organisation der Amtlichen Lebensmittelüberwachung und die daraus resultierenden Handlungszwänge genannt. So habe das Vertrauen in das deutsche Lebensmittelsicherheitssystem gelitten, wodurch der Lebensmittelwirtschaft national, europäisch und international wirtschaftlicher Schaden drohe. Ziel des Reformpaketes sei daher eine grundlegende Verbesserung der Strukturen der Lebensmittelüberwachung in Deutschland.

Angeregt wird die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems auf Bundes- und Landesebene mit einer länderübergreifenden Auditierung unter Einbeziehung des Bundes. Ferner soll eine Verbesserung der behördenübergreifenden Information bzw. Kommunikation zur Schaffung eines nationalen „Frühwarnsystems Lebensmittelsicherheit“ erreicht werden. Als drittes Kernelement ist die verbindliche Verankerung der Einbeziehung des Bundes bei der Aufklärung komplexer Situationen vorgesehen. Die Vorschläge des BMELV haben Ende 2006 eine breite öffentliche Diskussion über das Thema Lebensmittelüberwachung ausgelöst. Dabei haben die Inhalte des Reformpaketes bei den Bundesländern ein unterschiedliches Echo gefunden. Die Beratungen über die Umsetzung und die weiteren Schritte dauern an, sind aber trotz einer zurückgehenden öffentlichen Publizität auch weiterhin von besonderer Aktualität.

II. Grundsätzliche Position der Lebensmittelwirtschaft

Die Lebensmittelwirtschaft begrüßt die initiierte Diskussion über eine Reform der Amtlichen Lebensmittelüberwachung und will sich konstruktiv in die laufenden Gespräche zwischen Bund und Ländern einbringen. So sind eine effizient arbeitende Amtliche Lebensmittelüberwachung und ein gemeinschaftsweit möglichst einheitlicher Vollzug des Lebensmittelrechts für Verbraucher wie anbietende Wirtschaft unerlässlich. Die Herausforderungen im Rahmen des europäischen Binnenmarktes sowie des zunehmenden weltweiten Handels mit Lebensmitteln sind vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung und des Nachfrageverhaltens der Verbraucher in den letzten Jahren sogar noch deutlich gestiegen. Gerade dies macht die besondere Bedeutung der laufenden Reformdiskussion für die Praxis deutlich.

Die Einbringung der Erfahrungen der Lebensmittelwirtschaft mit der Überwachungspraxis und die daraus resultierende konstruktive Kritik sollen aber nicht davon ablenken, dass sich die Lebensmittelwirtschaft vollumfänglich zu der ihr obliegenden primären Verantwortung für die Sicherheit bzw. gesundheitliche Unbedenklichkeit der Lebensmittel bekennt und diese in der täglichen Praxis aktiv durch eine Vielzahl qualitätssichernder Maßnahmen umsetzt. Gerade im Hinblick auf die vertrauensschädigende Wirkung der jüngsten Vorkommnisse ist sich die Lebensmittelwirtschaft ihrer Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit bewusst und wird den ihr möglichen Beitrag bei der Bekämpfung von kriminellen Machenschaften leisten.

Dennoch ist aus Sicht des BLL festzustellen, dass es generell weder mehr noch strengerer Sanktionsvorschriften bedarf, um die Ausgangssituation durch Stärkung der Abschreckungswirkung zu verbessern und kriminellen Machenschaften effektiver vorzubeugen. Aus der Sicht der Lebensmittelwirtschaft ist es vielmehr entscheidend, den Verfolgungsdruck und damit das Risiko, bei kriminellen Machenschaften „erwischt“ zu werden, deutlich zu erhöhen. Eine derartige Erhöhung des Verfolgungsdrucks und die wirkliche Ausschöpfung des geltenden Strafrahmens sind sehr viel abschreckender und effektiver als der populären Forderung nach einer pauschalen Verschärfung der Strafandrohung nachzugeben. Der BLL begrüßt, dass die Bundesratsmehrheit dies bei ihrer Beschlussfassung über die Entschließung des Bundesrates zur Optimierung der Lebensmittelsicherheit vom 09. März 2007 durch Streichung der Forderung nach einer Erhöhung des Strafrahmens klar zum Ausdruck gebracht hat. Ohnehin bietet bereits das bestehende rechtliche Instrumentarium alle Möglichkeiten, Verkehrsverbote und Unternehmensschließungen zu verfügen, Kriminelle in der Öffentlichkeit namentlich zu benennen und damit „Schwarze Schafe“ vom Markt zu eliminieren.

Der BLL ist ferner der Auffassung, dass sich im Hinblick auf die angelaufene nationale Diskussion um eine Reform der Amtlichen Lebensmittelüberwachung jede unsachliche Pauschalkritik an der Amtlichen Lebensmittelüberwachung verbietet. Es muss vielmehr darum gehen, aufbauend auf den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts Schwachpunkte auf nationaler Ebene zu erkennen und mit dem Ziel einer Steigerung der Effizienz der Überwachung anzugehen.

Die Lebensmittelwirtschaft hat das mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 verfolgte Regelungsziel einer Harmonisierung der Tätigkeiten der Kontrolldienste in vertikaler Hinsicht über die gesamte Lebensmittelkette wie auch horizontal über sämtliche Mitgliedstaaten und Behörden stets begrüßt, da dies zu einem einheitlicheren und transparenteren Vollzug des Lebensmittelrechts auf europäischer wie nationaler Ebene führt. Insbesondere die auch im Rahmen der nationalen Reformdiskussion immer wieder thematisierte Forderung, dass Überwachung zukünftig anhand dokumentierter Verfahren im Rahmen von Qualitätsmanagementsystemen einschließlich der Auditierung dieser Systeme erfolgen soll, wird aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft eine begrüßenswerte Rationalisierung und Harmonisierung der nationalen Überwachungsabläufe zur Folge haben. Ferner wird sich die Amtliche Überwachung in sachgerechter Weise zu einer risikoorientierten Lebensmittelüberwachung entwickeln, d. h. Lebensmittelunternehmen können in Abhängigkeit von ihrer Größe, der Art ihrer Produkte, ihrer Vermarktungsstrategien, ihrer bisherigen Überwachungsergebnisse und Eigenleistungen im Rahmen betrieblicher Kontrollen eingestuft und entsprechend gestaffelt inspiziert werden. Dies schließt auch einen risikoorientierten Probenahmeschlüssel für Planproben und Lebensmittelmonitoring - Programme mit ein. Allein diese Vorgaben stellen aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft eine sinnvolle Weiterentwicklung der Amtlichen Lebensmittelüberwachung dar.

III. Problemfelder aus Sicht der BLL-Mitgliedschaft

Um im Rahmen der laufenden Reformdiskussionen auch eine Berücksichtigung der in der Unternehmenspraxis gemachten Erfahrungen zu ermöglichen, hat der BLL im Jahr 2006 eine breit gestreute, interne Mitgliederbefragung durchgeführt, deren Ergebnisse nachfolgend zusammengefasst wiedergegeben werden. Ziel ist es dabei wie schon ausgeführt - nicht, zu einem „Rundumschlag“ gegen die Amtliche Lebensmittelüberwachung auszuholen, sondern die von den Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft als drängend empfundenen Kritikpunkte in sachlicher Art und Weise aufzulisten, um sie einer Lösung im Rahmen der anstehenden Beratungen zuzuführen. Dabei wird nach drei unterschiedlichen Problembereichen differenziert:

Probleme im Zusammenhang mit Verwaltungs- bzw. Beanstandungsverfahren

  • Ein Dauerkritikpunkt seitens der Lebensmittelproduzenten stellt die fehlende bzw. verspätete behördliche Information der Hersteller über Probenahmen im Einzelhandel und über das zumindest grob skizzierte Untersuchungsziel dar. Der BLL hatte das Fehlen einer gesetzlichen Informationspflicht schon im Gesetzgebungsverfahren zu § 43 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch nachdrücklich kritisiert. Der EuGH formuliert im Urteil Joachim Steffensen (Urteil vom 10. April 2003, Rs. C-276/01) klare Pflichten zur Information des von einer amtlichen Probenahme betroffenen Herstellers durch die Behörde. Dabei stellt er entscheidend darauf ab, dass der betroffene Hersteller so rechtzeitig vom Analysenergebnis einer im Einzelhandel entnommenen Probe informiert werden muss, dass er ein Gegengutachten einholen, d.h. seine Verteidigungsrechte im Verfahren wahren, kann. Nach Auffassung des EuGH verpflichtet Artikel 7 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 89/397/EWG des Rates vom 14. Juni 1989 über die amtliche Lebensmittelüberwachung die Mitgliedstaaten,

    „die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit die Betroffenen gegebenenfalls ein Gegengutachten einholen können. Denn die Erfüllung dieser Verpflichtung impliziert zwar für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung, die Modalitäten der Ausübung dieses Rechts zu regeln, jedoch müssen diese Modalitäten jedenfalls die volle Anwendung der Richtlinie, d.h. die Gewährleistung des Rechts auf Gegengutachten, sicherstellen“ (Rdnr. 46).
    Nichts anderes kann auf der Grundlage des neuen Rechtsrahmens gelten. Die derzeitige Formulierung des § 43 LFGB setzt diese Vorgaben des Gerichtshofes aus Sicht des BLL nicht in gemeinschaftsrechtskonformer Weise um. Vielmehr enthält § 43 LFGB im Gegensatz zu den diskutierten Vorentwürfen - überhaupt keine Informationspflicht der Behörden gegenüber dem betroffenen Hersteller über Probenahme (und Analysenergebnis) mehr, sondern er schiebt in Absatz 3 die Verantwortung für die Unterrichtung des betroffenen Herstellers über die erfolgte Probenahme und die Möglichkeit einer Untersuchung der Gegenprobe allein dem Hersteller Händler Verhältnis zu. Die Überwachungsbehörde wird demnach entgegen den Ausführungen des EuGH im Steffensen Urteil - bewusst aus der Verantwortung für eine effektive Wahrnehmung der Verteidigungsrechte des betroffenen Herstellers entlassen.

    Aus diesem Grunde erfährt der betroffene Wirtschaftsbeteiligte in der Regel also der Hersteller mangels des Bestehens einer behördlichen Informationspflicht oftmals erst zu spät davon, dass die Behörde sein Erzeugnis als möglicherweise vorschriftswidrig einstuft. Dies führt zwangsläufig dazu, dass ihm das Beweismittel „Gegenprobe“ bereits abgeschnitten ist, denn im Lebensmitteleinzelhandel werden die zurückgelassenen Proben regelmäßig sofort nach Ablauf der Versiegelungsfrist vernichtet. Ohne rechtzeitige Unterrichtung und damit rechtzeitigen Zugriff des Herstellers auf die zurückgelassene Probe ist diese für den Wirtschaftsbeteiligten so gut wie wertlos, was sich in der Vergangenheit auch immer wieder drastisch gezeigt hat. Mit § 43 LFGB wird daher einer Verwaltungspraxis Vorschub geleistet bzw. diese legitimiert, die das EuGH-Urteil gerade vermeiden will.

    Um den vom EuGH entwickelten Grundsätzen in der Vollzugspraxis Rechnung zu tragen, ist es deshalb zur Sicherstellung der Rechtzeitigkeit der Information zwingend erforderlich, dass der Hersteller von der Überwachungsbehörde über die Probenahme und die Zurücklassung einer Gegenprobe im Einzelhandel informiert wird. Einen ersten Schritt in diese Richtung stellt der Ende 2005 von Seiten einer Arbeitsgruppe der Bundesländer erarbeitete „Leitfaden zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 10.4.2003 zum Recht des Herstellers auf Einholung eines Gegengutachtens“ dar, mit dem den inhaltlichen Forderungen des EuGH Rechnung getragen werden soll. Die in dem Leitfaden entwickelten Handlungsanweisungen für den Vollzug tragen einerseits den Vorgaben des EuGH Rechnung und beugen andererseits einer unzumutbaren Ausweitung der behördlichen Informationspflichten vor. Der Leitfaden wird nach den Informationen des BLL allerdings nur von einigen Bundesländern probeweise angewendet. Eine wünschenswerte förmliche Einbeziehung des Leitfadens in die Vollzugspraxis sämtlicher Bundesländer scheint daher (noch) nicht erfolgt zu sein.

  • Ferner wird nach wie vor die deutlich zu lange Bearbeitungszeit vieler Beanstandungsvorgänge kritisiert. Die lange Dauer führt oftmals dazu, dass Rückstellproben oder andere entlastende Beweismittel zum Zeitpunkt der förmlichen Einleitung eines Beanstandungsverfahrens auf Seiten des betroffenen Unternehmens nicht mehr vorhanden sind. Dadurch werden die Möglichkeiten des betroffenen Unternehmens zur angemessenen Sachverhaltsaufklärung wie zum Antritt des Gegenbeweises und damit die „Waffengleichheit“ im Verfahren in bedenklicher Weise beschnitten.
  • Auffällig erscheint den Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft ferner der hohe Anteil kennzeichnungsrechtlicher „Bagatellbeanstandungen“, die aus ihrer Sicht in unverhältnismäßiger Weise personelle Ressourcen in der Überwachung und den Unternehmen binden und Belastungen verursachen, die nicht wirklich zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit und damit des Gesundheitsschutzes beitragen und an anderer Stelle fehlen. Stattdessen wird daher eine verstärkte Konzentration der Überwachungsmaßnahmen auf den gesundheitlichen Verbraucherschutz gefordert.
  • Außerdem wird die Verwendung ungeeigneter bzw. unzulässiger Prüfparameter (Bsp.: Bestimmung des Indol-Wertes (Eiweißabbauprodukt) für Bewertungen des Frischezustands von Krebstieren) mit der Folge fehlerhafter Beanstandungsvorwürfe angeprangert.
  • Schließlich wird kritisiert, dass keine Benachrichtigung der Unternehmen über negative Befunde bei der Probenuntersuchung bzw. bei einer Beendigung des Verwaltungsverfahrens ohne Rechtsfolgen stattfindet. Dies trägt nach Ansicht der Unternehmen dazu bei, dass die von der Behörde vorgenommene Bewertung des Untersuchungsergebnisses und deren Gründe dem Betroffenen nicht bekannt wird und es deshalb gegebenenfalls zu mehrfachen Prüfungen ein und desselben Beanstandungssachverhalts kommt.

Probleme bezüglich der Abstimmung/Koordination der Überwachungsbehörden und der Effizienz der Vollzugspraxis

  • Zunehmend führt ferner die Anwendung unterschiedlicher Analysemethoden in den Mitgliedstaaten, aber auch in den Bundesländern (Bsp. Nachweis von Antibiotika, Schadstoffen, LL Reis 601) zu Problemen für die Unternehmen. Beispielsweise haben die Vollzugsbehörden in Deutschland, aber auch in anderen Mitgliedstaaten der EU, seit Herbst 2006 eine umfangreiche Kontrolltätigkeit auf Spuren des gentechnisch veränderten „LL REIS 601“ durchgeführt. Dabei ist es nicht zuletzt durch die extensive Art der Probenahme und der Nachweisführung in einzelnen Bundesländern - zu zahlreichen Positivbefunden im Spurenbereich (zumeist < 0,05 %) gekommen, die dazu geführt haben, dass Reisprodukte öffentlich vom Markt genommen und in nicht unbeträchtlichem Maße vernichtet wurden. In diesem Zusammenhang hat der BLL frühzeitig auf erhebliche Probleme aufgrund einer fehlenden gemeinschaftsweiten Regelung im Bereich der Nachweisführung hingewiesen, die eine Vergleichbarkeit der Analysenergebnisse und damit die für die betroffenen Unternehmen zwingend notwendige Rechtssicherheit komplett in Frage stellten. Als Kernproblem wurde angesehen, dass die einschlägige Kommissionsentscheidung 2006/601/EG entscheidende, für die einheitliche Rechtsanwendung in der EU aber zwingend notwendige Parameter über längere Zeit ungeregelt ließ. Aus diesem Grunde wichen Probenahme (insbesondere Probengröße und Probenanzahl) wie auch Einzelheiten der Analytik in der Praxis derart voneinander ab, dass dies auf die Nachweisgrenze durchschlug. Diese Diskrepanzen betrafen sowohl unterschiedliche Praktiken der Nachweisführung zwischen den USA und der Europäischen Union als auch innerhalb der Europäischen Union und innerhalb Deutschlands. Es entstand eine Art Wettstreit um die sensitivste Nachweisführung.

    Dies führte im Ergebnis zwangsläufig zu divergierenden bzw. nicht vergleichbaren Analysenergebnissen, die für die betroffenen Unternehmen angesichts der damit verbundenen wirtschaftlichen, z. T. bereits existentiellen Folgen auf Dauer nicht akzeptabel sind. Gerade so lange in den rechtlichen Vorgaben noch in realitätsfremder Weise „Nulltoleranzen“ vorgegeben werden, bedarf es im Hinblick auf die Probennahme und die Analytik bundesweit einheitlicher, besser noch gemeinschaftsweit einheitlicher Vorgaben, an der sich der Vollzug auszurichten hat. In diesem Sinne wird ebenfalls angeregt, die amtliche Sammlung von Verfahren zur Probenahme und Untersuchung nach § 64 LFGB schneller zu aktualisieren.

  • Die fehlende Koordination bei der Probenahme, d. h. der Art und Menge der zu beprobenden Lebensmittel, wurde von den Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft bei der Befragung mehrfach als generelles Problem angesehen, das durch einheitliche, risikoorientierte Probenahmepläne einfach und schnell lösen sei.
  • Nach wie vor findet eine Vielzahl von Doppelbegehungen der Betriebe durch Lebensmittelkontrolleure und Veterinäre statt, die für die Unternehmen wegen der aus ihrer Sicht unnötigen mehrfachen Bindung personeller Ressourcen für dringend verbesserungswürdig gehalten wird.
  • Nach wie vor findet eine Vielzahl von Doppelbegehungen der Betriebe durch Lebensmittelkontrolleure und Veterinäre statt, die für die Unternehmen wegen der aus ihrer Sicht unnötigen mehrfachen Bindung personeller Ressourcen für dringend verbesserungswürdig gehalten wird.
  • Beklagt werden darüber hinaus Mehrfach-Kontrollen und Mehrfach-Beanstandungen ein und desselben Produkts bzw. ein und desselben Sachverhaltes in unterschiedlichen Bundesländern. Es bestehe zwischen den Bundesländern und zum Teil auch innerhalb eines Bundeslandes keine gegenseitige Kenntnis bzw. Akzeptanz von Entscheidungen der unterschiedlichen Behörden.
  • Hinzu kommt eine weithin fehlende Abstimmung bei der Auslegung und Anwendung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften innerhalb der Bundesländer und länderübergreifend. So wird beispielsweise berichtet, dass innerhalb eines Bundeslandes von verschiedenen Landkreisen vier unterschiedliche Wege zur Entsorgung von Konfiskat vorgegeben werden. Als weiteres plakatives Beispiel wird der Fall genannt, dass ein Unternehmen mit Betriebsstätten in verschiedenen Bundesländern den Ablaufplan seiner Produktion bei den jeweils zuständigen Behörden eingereicht hat. Dieser wurde von den unterschiedlichen Behörden mit der Bewertungsspannbreite von „beispielhaft“ bis „wenig brauchbar“ bedacht. Dass ein durch derartige Vollzugsunterschiede bestimmter Handlungsrahmen für bundesweit, teilweise europa- oder sogar weltweit agierende Unternehmen nicht akzeptabel ist, dürfte selbsterklärend sein.
  • Außerdem wird nach wie vor eine unzureichende länderübergreifende Zusammenarbeit bei Sachverhalten mit bundesweiten Auswirkungen (Bsp. LL Reis 601; Vogelgrippe) beklagt.
  • Hierzu zählt auch das Fehlen einer länderübergreifenden Koordination in Krisensituationen, insbesondere hinsichtlich der Krisenkommunikation.

Probleme im Hinblick auf die Sachkenntnis der kontrollierenden Überwachungspersonen

  • Mehrfach wurden zudem von den Unternehmen eine geringer werdende Sachkenntnis in der Warenkunde (Bsp.: fehlende Deutung des „Wildgeruchs“ bzw. des unterschiedlichen Geruchs von Warmwassershrimps und Kaltwassershrimps; unterschiedlicher Eiweißgehalt von Krebstieren) und in der lebensmittelrechtlichen Beurteilung angeführt.
  • So seien einerseits Mängel in der Ausbildung/Fortbildung (oftmals auch eine unzureichende oder verspätete Information über neue Rechtsgrundlagen) festzustellen, zum anderen werde zum Teil aufgrund der fehlenden finanziellen Ressourcen an Fortbildungsmaßnahmen generell gespart.

IV. Eckpunkte einer Reform aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft

Die dargestellten Rückläufe aus den Unternehmen machen deutlich, dass aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft neben den spezifischen Anmerkungen im Rahmen der weiteren Reformdiskussion vor allem folgende Eckpunkte beachtet werden sollten:

Verbesserung der internen Überwachungsorganisation durch konsequente und zeitnahe Einführung von Qualitätsmanagementsystemen und unabhängige Auditierung
Wie bereits erwähnt wird der auf der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 basierende und auch im Rahmen der nationalen Reformdiskussion immer wieder thematisierte Ansatz, dass Überwachung zukünftig anhand dokumentierter Verfahren im Rahmen von Qualitätsmanagementsystemen einschließlich der Auditierung dieser Systeme erfolgen soll, von der Lebensmittelwirtschaft vollumfänglich geteilt. Der Ansatz bietet eine Chance zur Schwachstellenanalyse, Rationalisierung und Effizienzsteigerung. Die bereits angegangene zeitnahe Umsetzung dieser Qualitätssicherungssysteme einschließlich einer unabhängigen Auditierung liegt daher in vorrangigem Interesse aller Beteiligten.

Konsequent risiko- und schwachstellenorientiertes Vorgehen bei Betriebsinspektionen
Erste praktische Schritte der Vereinheitlichung der Lebensmittelüberwachung stellen die Erarbeitung Allgemeiner Verwaltungsvorschriften (AVVs) dar so insbesondere die „AVV über Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung lebensmittelrechtlicher und weinrechtlicher Vorschriften AVV Rahmen-Überwachung AVV Rüb“ vom 21. Dezember 2004. Durch die in der AVV festgelegten Anforderungen an die Überwachung und die niedergelegten Grundsätze für die amtliche Betriebsprüfung und Probenahme/-untersuchung wird aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft ein entscheidender Beitrag zum einheitlichen Vollzug geleistet. Auch den Ansatz einer risikoorientierten Vorgehensweise bei Betriebsüberprüfungen bewertet der BLL uneingeschränkt positiv; an dieser Stelle besteht jedoch ein Bedarf zur weiteren Komplettierung, um diese Grundsätze in der Überwachungspraxis zu realisieren.

Ergänzende Schritte bilden außerdem die verabschiedeten Allgemeinen Verwaltungsvorschriften für die Durchführung des Schnellwarnsystems für Lebensmittel und Futtermittel (AVV SWS) sowie zur Durchführung des Lebensmittel-Monitorings (AVV Lebensmittel-Monitoring). In diesen Vorschriften werden u. a. die Aufgaben des BVL und die Aufgabenteilung zwischen BVL und Bundesländern näher konkretisiert; es bleibt jedoch aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft unverständlich, warum keine eindeutige Kompetenzzuweisung an das BVL für bestimmte Aufgabenstellungen erfolgt, wie dies zur Erzielung von Koordinierung und Effizienzsteigerung erforderlich wäre.

Mögliche ergänzende Maßnahmen zur Änderung der Überwachungsorganisation vor Ort (bspw. Rotation der Kontrolleure), müssen aus Sicht des BLL in jedem Falle auch den wichtigen Aspekt der genauen Betriebs- und Produktkenntnis durch das Kontrollpersonal, beispielsweise bei der Festlegung der Rotationsfrequenzen, mitberücksichtigen. Selbstverständliche Voraussetzung einer effizienten Kontrolle vor Ort ist zudem das Vorhandensein der notwendigen technischen bzw. sächlichen Ausstattung der ausführenden Kontrolleure zur Vornahme der jeweiligen Kontrolltätigkeit. So setzt die effiziente Vornahme von Kontrollen im Kühlhaus zwangsläufig eine Ausstattung der Kontrolleure mit entsprechender Kleidung voraus.

Verbesserung der Personalqualifizierung durch verstärkte Aus- und Fortbildung in den Bereichen Lebensmittelrecht und Warenkunde
Sämtliche Neuerungen in bestehenden Strukturen erfordern eine intensive Information und Qualifikation der Beteiligten; die Lebensmittelwirtschaft weiß aus eigener Erfahrung, dass die Umgestaltung von Organisationssystemen und qualitätssichernden Maßnahmen Mühe und Zeit kostet. Die zunehmende Internationalisierung der Handelsströme, die rasante technische Entwicklung, und die ständige Veränderung der Märkte bzw. Produkte stellen überdies die Verantwortlichen in den Unternehmen wie in den Überwachungsbehörden vor ständig neue Herausforderungen. Auch die stetig im Wandel befindlichen lebensmittelrechtlichen Vorgaben sowie die wachsende Verknüpfung gemeinschaftsrechtlicher und nationaler Vorschriften erfordern eine kontinuierliche Pflege und Weiterentwicklung der Sachkenntnis in Warenkunde und lebensmittelrechtlicher Beurteilungsfähigkeit auf der Ebene der Sachverständigen und Lebensmittelkontrolleure. Angesichts der Komplexität des Lebensmittelrechts und der Geschwindigkeit seiner Änderung bzw. Weiterentwicklung bedarf es dazu einer ständigen Fortbildung. Es muss daher eine angemessene Ausstattung bei den zuständigen Überwachungsbehörden vorhanden sein, um das Kontrollpersonal auf dem aktuellen Kenntnisstand zu halten. Ferner ist ein angemessenes Zeitbudget für Fortbildungsmaßnahmen einzuräumen. Diesbezüglich besteht auch eine Bereitschaft der Lebensmittelwirtschaft und des BLL, hierzu im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst einen unterstützenden Beitrag zu leisten.

Verbesserung der Kommunikation und Koordination zwischen den Bundesländern sowie Bund und Ländern
In der Vergangenheit haben sich insbesondere anlässlich verschiedener Lebensmittelkrisen Schwächen in der deutschen Überwachungspraxis gezeigt. Sie beruhten im Wesentlichen auf mangelnder Information sowie fehlender Koordination und Abstimmung der zu ergreifenden Maßnahmen und waren nicht selten auch darauf zurückzuführen, dass ein gewisser Wettbewerb zwischen den Bundesländern untereinander nicht zu übersehen war. Dies erwies sich insbesondere dann als problematisch, wenn es um die öffentliche Informationstätigkeit der Behörden ging. Vor diesem Hintergrund gibt die unter dem Titel „Verbraucherschutz länderübergreifend koordinieren“ kommunizierte Pressemitteilung des niedersächsischen Verbraucherschutzministers Ehlen vom 14. März 2007 zum Ergebnis der Gespräche der sog. B-Länder mit Bundesminister Seehofer Anlass zu begründeter Hoffnung.

Notwendig aus der Sicht der Lebensmittelwirtschaft ist in Deutschland neben der erwähnten Angleichung des Vollzugs durch Allgemeine Verwaltungsvorschriften eine verbesserte Koordination bzw. Abstimmung zumindest in wichtigen, Landesgrenzen übergreifenden Fällen unter Einbeziehung der Bundesebene. Dies setzt zunächst einen verbesserten Informationsaustausch zwischen den Bundesländern untereinander sowie zwischen den Bundesländern und dem Bund voraus. Insoweit bietet beispielsweise das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) mit dem Informationssystem FIS VL bereits eine Kommunikationsplattform an. Darüber hinaus wird in jüngster Zeit (alternativ) die Einrichtung einer von den Ländern gemeinsam betriebenen Datenbank als bundesweites Frühwarnsystem in die Diskussion eingebracht, in der alle Ergebnisse aus den amtlichen Kontrollen eingestellt werden sollen. Die zügige Einrichtung und aktive Nutzung einer gemeinsamen Kommunikationsplattform der Länder und des Bundes wird von der Lebensmittelwirtschaft in jedem Falle begrüßt.

Ferner erscheint eine grundsätzliche Konzentration der Zuständigkeit, d. h. eine Bündelung der Verfahrensführung bei einer „Leitbehörde“ in Fällen mit länderübergreifender Wirkung sinnvoll und wünschenswert. Dies führt dann zwangsläufig auch zu einer verbesserten Bündelung der behördlichen Kommunikationsaktivitäten nach außen. Aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft bietet es sich dazu an, das bereits zum Teil praktizierte „Herstellerlandprinzip“ als generellen Zuständigkeitsgrundsatz förmlich festzuschreiben. Danach fielen bei länderübergreifenden Sachverhalten der für den Herstellerbetrieb zuständigen Landesbehörde die Verfahrensführung, der Aktionsrahmen und damit auch die alleinige Ausgestaltung der Informationstätigkeit nach außen zu. Durch eine derartige klare Zuordnung der behördlichen Verantwortlichkeit für Vollzugsmaßnahmen und Kommunikationsaktivitäten könnten widersprüchliche und daher gerade in Krisensituationen - von ihrer Wirkung beim Verbraucher vertrauensschädigende behördliche Botschaften nach außen vermieden oder zumindest deutlich reduziert werden.

Alternativ oder auch parallel käme eine stärkere Nutzung des Koordinationspotentials des BVL bei länderübergreifenden Sachverhalten in Betracht. So kann das BVL durchaus stärker als bisher als gemeinsame Koordinationsplattform zu länderübergreifenden Absprachen und zur Konsensfindung bei der Vereinbarung bindender Vollzugsregelungen herangezogen werden. Die Erfahrungen der Wirtschaft mit unterschiedlichen Abläufen im „Alltag“ der Überwachungspraxis, vor allem aber auch in Krisenfällen, lassen eine bessere Koordination bei länderübergreifenden Sachverhalten in jedem Falle zwingend geboten erscheinen.

Große Sorge macht der Lebensmittelwirtschaft vor dem Hintergrund der für zwingend notwendig gehaltenen Verbesserung der Koordination und der stärkeren Angleichung des Vollzuges die mit der Föderalismusreform I beschlossene Änderung der diesbezüglichen Kompetenzregelungen in Art. 84 GG. Die Lebensmittelwirtschaft hatte schon im Sommer 2004 besorgt zur Kenntnis genommen, dass in der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (Föderalismuskommission) Überlegungen diskutiert wurden, die Kompetenzen der Länder dadurch zu stärken, dass sie von bundeseinheitlichen Regelungen über die Einrichtung von Behörden und über Verwaltungsverfahren abweichen können. Das mag in einigen Bereichen angemessen sein, jedoch keinesfalls, soweit es die Amtliche Lebensmittelüberwachung betrifft. In dem hochsensiblen Bereich des Verbraucherschutzes und insbesondere der Lebensmittelsicherheit war schon aus damaliger Sicht eine weitere Zersplitterung der Lebensmittelüberwachung unter allen Umständen zu vermeiden. Dies war auch das Ergebnis des Gutachtens der Präsidentin des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, das im Jahre 2001 als Grundlage für das Gesetz zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit diente.

Demgegenüber haben die Bundesländer nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG nunmehr das Recht zu abweichender Ländergesetzgebung, wenn der Bund Gesetze schafft, die das Verwaltungsverfahren der Länder regeln. Nur ausnahmsweise, bei Vorliegen eines besonderen Bedürfnisses für eine bundeseinheitliche Regelung, kann der Bund nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit der Länder regeln. In diesem Falle der Abweichungsfestigkeit wird das entsprechende Gesetz allerdings zustimmungspflichtig. Die Begründung eines besonderen Bedürfnisses dürfte nur in begrenzten Ausnahmefällen gelingen. Die neue Kompetenzregelung dürfte dadurch die Möglichkeit erschweren, auf (bundes-) gesetzlichem Wege zu einer stärkeren Angleichung des Vollzugs auf dem Gebiet der Lebensmittelüberwachung zu kommen.

Keine generelle Privatisierung bzw. Teilprivatisierung der Lebensmittelüberwachung
In letzter Zeit wird auf europäischer und nationaler Ebene zudem wieder verstärkt diskutiert, inwieweit Aufgaben im Rahmen der amtlichen Kontrollen von Lebensmitteln und Lebensmittelunternehmen auf private Stellen übertragen werden können. In Deutschland sind von den einzelnen Bundesländern konkrete Bestrebungen zur (Teil-) Privatisierung bekannt. Dabei werden sehr unterschiedliche Konzepte verfolgt, die zum Teil vorsehen, Aufgaben der Lebensmittelüberwachung auch im Bereich der Inspektion von Lebensmittelbetrieben zu privatisieren. Die Ereignisse im Zusammenhang mit überlagertem Fleisch haben auf politischer Ebene die Diskussionen neu entfacht. Privatisierung wird zum Teil als Mittel zur Steigerung der Wirksamkeit und Vertrauensbildung thematisiert, während die Lebensmittelwirtschaft dem überwiegend kritisch gegenübersteht; einzelne Bundesländer sehen darin in erster Linie einen Weg zur Kosteneinsparung.

Die Lebensmittelüberwachung dient insbesondere der Gewährleistung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und ist bislang ausschließlich eine hoheitlich staatliche Aufgabe. Grundsätzlich sind Überlegungen zur Neustrukturierung staatlicher Aufgaben mit dem Ziel der Effizienzsteigerung und des Verwaltungsabbaus nachvollziehbar und diskutabel. Dies gilt im Grundsatz auch für die Frage einer Privatisierung von Teilaufgaben aus dem Gesamtbereich der Amtlichen Lebensmittelüberwachung. Hierbei muss bei der Bewertung aber nach Auffassung der Lebensmittelwirtschaft in jedem Falle eine Differenzierung zwischen der Privatisierung von Leistungen der Prüflaboratorien und einer Übertragung von Inspektionstätigkeiten in den Betrieben an Private erfolgen.

Lebensmittelunternehmer haben eigenverantwortlich im Wege der betrieblichen Eigenkontrollen zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht die Sicherheits- und Qualitätsanforderungen an Lebensmittel angemessen zu kontrollieren sowie die Rahmenbedingungen der Herstellung entsprechend zu beaufsichtigen. Sie bedienen sich dazu auch externer privater Laboratorien und anerkannter Sachverständiger. Zu dieser primären Verantwortung für die Sicherheit und Qualität der Lebensmittel bekennt sich die Lebensmittelwirtschaft wie bereits erwähnt vollumfänglich. Sie setzt diese durch eine Vielzahl qualitätsssichernder Maßnahmen in die Praxis um. Die stichprobenweise Überprüfung der Maßnahmen der Eigenkontrolle und die Bewertung ihrer Wirksamkeit („Kontrolle der Eigenkontrolle“) erfolgt dagegen bislang ausschließlich durch die staatliche Ebene.

Die Übertragung von einzelnen Aufgaben an private Sachverständige z. B. die Durchführung von Analysen und die Bereitstellung von Analysenergebnissen zur Beurteilung bestimmter Proben ist bei entsprechender Regelung der Abläufe grundsätzlich denkbar und aus der Sicht der Lebensmittelwirtschaft vor allem dann zu begrüßen, wenn hierdurch Kompetenzen und Kapazitäten z. B. in krisenhaften Situationen genutzt werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es auch in solchen Konstellationen in der Vergangenheit bereits zu erheblichen Problemen gekommen ist. Bedenklich wäre aber schon die generelle Übertragung weiterer Kompetenzen auf private Sachverständige wie die Bewertung dieser Analysenergebnisse und die daran anschließende Entscheidung über Folge- bzw. Sanktionsmaßnahmen. Insbesondere die Inspektion der einzelnen Betriebe zur Prüfung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Eigenkontrolle muss aus Sicht des BLL aus Gründen der Gleichbehandlung, Unabhängigkeit und Einheitlichkeit des Vollzugs sowie Verantwortung für den gesundheitlichen Verbraucherschutz eine rein staatliche Aufgabe bleiben.

Die Bedenken der Lebensmittelwirtschaft gegen eine weitreichende Privatisierung der Lebensmittelüberwachung gründen sich im Einzelnen auf folgende Erwägungen:

Fehlende Kriterien und Anforderungen für Akkreditierung
Die Beleihung kompetenter privater Sachverständiger zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, wie u. a. Inspektionen von Lebensmittelbetrieben, setzt voraus, das - wie im Bereich des ökologischen Landbaus - objektive und einheitliche Kriterien vorgegeben sind, die das Qualifikationsprofil beschreiben und die Unabhängigkeit sowie die Aufsicht dieser privaten Stellen gewährleisten. Diese Voraussetzungen für ein Akkreditierungssystem und Verfahren der Anerkennung durch Behörden sind derzeit (noch) nicht geschaffen; eine Beschränkung auf „öffentlich bestellte und vereidigte Lebensmittelsachverständige und private akkreditierte Lebensmittellaboratorien“ reicht nicht aus. Es wäre darüber hinaus zu regeln, in welchen Teilen und für welche spezifischen Aufgaben eine Delegation an Private möglich ist. Ferner wären Kriterien zu schaffen, die die Unabhängigkeit und Freiheit von Interessenkonflikten transparent machen.

Fragliche Unabhängigkeit
Neutralität, absolute Unabhängigkeit und Freiheit von Interessenkonflikten ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung hoheitlicher Überwachungsaufgaben. Ungeachtet der fehlenden Festlegung von Kriterien hierfür bestehen große Zweifel, ob eine entsprechende Unabhängigkeit privater Dienstleister in der Praxis realisierbar ist. Die in Frage kommenden Sachverständigen können in der Regel nicht ausschließlich hoheitliche Überwachungsaufgaben wahrnehmen, sondern führen als private Dienstleister zeitgleich auch Beratung und Begutachtung im Auftrag von Lebensmittelunternehmen durch.

Eine Trennung zwischen Befunderhebung und Befundbeurteilung lässt sich im Bereich von Laboruntersuchungen – wie dargelegt – grundsätzlich bewerkstelligen; im Bereich der Betriebsinspektion ist diese Trennung ungleich schwieriger. Ein Sachverständiger hat auf Basis eines Audits eine Beurteilung und Einschätzung des Betriebes vorzunehmen, in die mit seinen Maßstäben bzw. Kriterien und seiner Rechtsinterpretation subjektive Bewertungen einfließen. Ein solcher Bericht dient dann der Verwaltung als Grundlage für die Einstufung des Betriebes und ggf. für das weitere behördliche Vorgehen gegen diesen Betrieb.

Ungleichbehandlung der Branchen
Indiskutabel aus der Sicht der Lebensmittelwirtschaft ist insbesondere die zum Teil angestrebte Vorgehensweise, Betriebsinspektionen durch private Sachverständige nur für größere Betriebseinheiten vorzusehen. Damit ist zu befürchten, dass zukünftig eine „Zwei-Klassen-Überwachung“ entsteht und das Vertrauen in eine „neutrale Überwachung“, das ohnehin durch eine Privatisierung leiden dürfte, in besonderem Maße unterminiert wird. Die Überwachung von Lebensmittelgroßbetrieben erfordert unterschiedlichste Sachkunde, spezifisches Wissen und ständige Fortbildung; die amtliche Überwachung muss sich ihr gesamtes derzeitiges Leistungsspektrum erhalten und sollte sich nicht durch Beschränkung auf die Überwachung von Klein- und Kleinstbetrieben von der Qualifizierung abkoppeln.

Überwälzung von Kosten
Aufgrund der Tatsache, dass mit einer Privatisierung in erster Linie Verwaltungsabbau und Kosteneinsparung angestrebt werden, besteht seitens der Wirtschaft die Befürchtung, dass im Zuge der Privatisierung auch eine Überwälzung von Kosten für Überwachungstätigkeiten auf die Unternehmen im weiten Umfang stattfindet. Unabhängig vom Überprüfungsergebnis und ohne Einflussmöglichkeiten auf die Häufigkeit und Intensität der Überprüfung müssten die Unternehmen dabei wohl die Kosten für die Tätigkeiten der privaten Sachverständigen übernehmen; dieser Aufwand wurde bisher begründet durch das Verbraucherschutzinteresse berechtigterweise von der öffentlichen Hand getragen. Die Einforderung von Kosten bzw. Gebühren von den von privater Hand inspizierten Unternehmen würde zu unangemessenen Zusatzbelastungen führen, den Wettbewerb weiter verzerren und die Kritik an der Gewährleistung der Unabhängigkeit der privaten Sachverständigen verschärfen.

Weitere Zersplitterung der Überwachung
Würden einzelne Bundesländer unterschiedliche Konzepte zur Privatisierung realisieren, so wäre das Ergebnis eine weitere Zersplitterung der Lebensmittelüberwachung, was wiederum die erläuterte Problematik der Unterschiede im Vollzug des Lebensmittelrechts für die Lebensmittelunternehmen verschärfen würde. Dies wäre auch kontraproduktiv für das Bestreben der letzten Jahre, durch geeignete Verwaltungsvorschriften eine Verbesserung und eine Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns in Deutschland herbeizuführen.

Die Lebensmittelwirtschaft ist angesichts der vorstehenden Kritikpunkte überzeugt davon, dass die in der Modifizierung des gemeinschaftlichen Lebensmittel- und Überwachungsrechts nach den Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 angelegte Änderung der Organisationsstrukturen und Tätigkeitsschwerpunkte der Amtlichen Lebensmittelüberwachung einschließlich der national diskutierten Handlungsoptionen im Ergebnis bereits zu den notwendigen Effizienzsteigerungen führen werden, ohne auf eine hoheitlich ausgestaltete Lebensmittelüberwachung zu verzichten und ohne weitreichende Privatisierungsmaßnahmen einzuleiten.

Keine Gebührenerhebung für Maßnahmen im Rahmen der Regelüberwachung
Der im Rahmen der letzten Verbraucherschutzministerkonferenz diskutierte Vorschlag, auch für Maßnahmen der amtlichen Regelkontrolle Gebühren von den Unternehmen zu erheben, wird von Seiten der Lebensmittelwirtschaft abgelehnt. So würde es neben der Kostenbelastung für die Unternehmen auch der Akzeptanz der hoheitlich durchgeführten Lebensmittelüberwachung abträglich sein, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass die Tätigkeit der amtlichen Überwachung künftig vornehmlich durch Gebühren zu Lasten derjenigen Betriebe finanziert wird oder werden soll, die sich rechtskonform verhalten. Die klare Ablehnung der gebührenfinanzierten amtlichen Regelkontrolle durch die Verbraucherschutzministerkonferenz im Dezember 2006 trägt diesen Bedenken der Lebensmittelwirtschaft in begrüßenswerterweise Rechnung, so dass dieser Punkt derzeit keiner weiteren Erörterung mehr bedarf.

V. Schlussbetrachtung
Zusammenfassend ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die Lebensmittelwirtschaft ein besonderes eigenes Interesse an einer effizient arbeitenden Amtlichen Lebensmittelüberwachung und einem möglichst einheitlichen Vollzug der geltenden nationalen wie europäischen Vorschriften des Lebensmittelrechts hat. Vor diesem Hintergrund bietet der BLL als Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft Bund und Ländern einen sachlichen und konstruktiven Dialog zu sämtlichen Fragen im Hinblick auf eine Reform der Amtlichen Lebensmittelüberwachung sowie einer Verbesserung der Eigenkontrollsysteme an.

Berlin, 22. März 2007

Für weitere Informationen:
Dr. Marcus Girnau
Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL)
Claire-Waldoff-Straße 7, 10117 Berlin
Tel.: +49 30 206143129, Fax: +49 30 206143229
E-Mail: mgirnau@bll.de, Internet: www.bll.de