Der Glaubwürdigkeitsverlust geht über die Medienkrise hinaus
Wir brauchen Journalisten, die Zeit zum Recherchieren haben, die Fakten auf den Tisch legen und den Menschen die komplexe Welt erklären können, ohne eine Meinung vorzugeben – das ist die Quintessenz nach zwei kontroversen und intensiven Expertenrunden des 5. Mediendialog Lebensmittel.
„NGO-Vertreter sind gut, Wirtschaftsvertreter sind interessensgeleitet und deshalb schlecht und dann sind die Inhalte zweitrangig“, konstatierte Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbands der deutschen Lebensmittelwirtschaft BLL, in seiner Auftaktrede. Dieses Schema gelte nicht nur für die Lebensmittelbranche, sondern für die Wirtschaft generell.
„Und wenn Artikel aus Copy and Paste der Pressemitteilungen von NGOs bestehen, dann habe ich meine Zweifel, ob es der Summe der Journalisten tatsächlich gelingt, eine eigene Recherche und Überprüfung vorzunehmen“, analysierte Minhoff und zog daraus den logischen Schluss „Wenn das in diesen Fällen so ist, wie ist das dann bei anderen Themen mit Fakten?“
Um über journalistische Praktiken, alternative Fakten und die Verspartung der Medien zu diskutieren, hatte der BLL am 13. September 2018 Experten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien zum nunmehr fünften Mal zum Mediendialog Lebensmittel eingeladen.
Wer finanziert NGOs?
In dem Ambiente des Schmelzwerkes der Sarotti-Höfe in Berlin-Kreuzberg entspann sich in der ersten Diskussionsrunde „Amt und Würde im Vorverurteilungszeitalter – siegt der Furor?“ zwischen Christoph Minhoff, Prof. Dr. Hans Mathias Kepplinger (JGU Mainz), Gitta Connemann (CDU), Markus Feldenkirchen (SPIEGEL) und Sascha Müller-Kraenner (Deutsche Umwelthilfe) eine Debatte über die Begrifflichkeiten NGO und Lobbyisten und die Arbeitsweise von Journalisten.
Gitta Connemann hielt zunächst ein Plädoyer für die Transparenz, man müsse erst einmal hinterfragen, was das für Institutionen sind, wenn man von NGOs spricht, welchen Zweck sie haben und wer diese finanziert. Sascha Müller-Kraenner widersprach dem Eingangsstatement von Minhoff insofern, als er nicht den Eindruck habe, dass die Medien Pressemitteilungen, wie beispielsweise die der Deutschen Umwelthilfe, ungefiltert übernehmen würden: „Wir arbeiten faktenbasiert, nicht mit gefühltem Wissen. Und das macht uns für viele Medien interessant. Die Presse sucht interessante Geschichten.“
Qualitätsjournalismus erfordert Zahlbereitschaft
Auch Spiegel-Journalist Markus Feldenkirchen verteidigte seinen Berufsstand: „Journalisten sind kein Neutrum. Ich habe eine eigene Meinung und die darf ich auch darstellen, da, wo es gekennzeichnet ist, zum Beispiel im Rahmen eines Kommentars.“ Er gab zu, dass manchmal die Trennung zwischen Bericht und Kommentar nicht ganz so gut gelänge, aktuell beispielsweise bei der Flüchtlingsdebatte.
Seine Beobachtung sei zudem, dass der Anspruch der Medienkritik besonders von den Bürgern komme, die nicht bereit wären, „auch nur einen Cent“ für die Berichterstattung zu zahlen: „Wer nicht nur eine Meinung einer Mediengruppe hören will, sollte über sein Mediennutzungsverhalten und seine Zahlbereitschaft nachdenken.“
Professor Hans Mathias Kepplinger brachte noch ein paar Zahlen in die Diskussion ein: So hätten laut einer Untersuchung 60 Prozent der Journalisten einen Hang zu fragwürdigen Praktiken – wobei offen blieb, was darunter genau zu verstehen sei. Außerdem sei die Hälfte der Journalisten schon mal massiven persönlichen Attacken ausgesetzt gewesen, z. B. über die Kommentarfunktion unter Artikeln.
Einen Video-Zusammenschnitt mit den Highlights des ersten Podiums gibt es hier:
Glaubwürdigkeitsverlust über Medienlandschaft hinaus
Das Internet als Demokratisierungsinstrument griff auch Albrecht von Lucke auf in seiner anschließenden Keynote: „Früher sah man sich die Tagesschau an und war damit auf dem Stand der Dinge. Es gab wenig Korrektive. Mittlerweile werden die Öffentlich-Rechtlichen im Wahrheitsmonopol von anderen in Frage gestellt. Von links und rechts. Die Wahrheitsfrage ist damit im Raum.“ Der Glaubwürdigkeitsverlust gehe laut von Lucke aber weit über die Medienlandschaft hinaus.
Und so diskutierte das zweite Panel um von Lucke, Katja Suding (FDP), Axel Finkenwirth (Deutscher Bauernverband) und Jan-Philip Hein (Salonkolumnisten) auch vor allem über tagesaktuelle Politik.
Katja Suding konstatierte mit Blick auf die Bundestagsdebatte am Tag zuvor, dass Martin Schulz mit seinem Zwischenruf dem Diskurs „einen Bärendienst“ erwiesen und der AFD „ein Geschenk“ gemacht habe. Das hätte ihrer Meinung nach einem erfahrenen Politiker nicht passieren dürfen. „Die AFD ist das Produkt ungelöster Probleme“, so Suding.
In den sozialen Medien könne die Partei ungefiltert ihre Botschaften verbreiten. „Das ist nun mal das Prinzip der Social Media, dass jeder Empfänger auch potenziell Sender sein kann“, erklärte Suding. Deshalb müsse akzeptiert werden, dass dadurch auch falsche Informationen und alternative Fakten verbreitet werden können. Einen staatlichen Eingriff hält sie hier für nicht angebracht oder notwendig. Sie persönlich stelle sich aber die Frage, ob die klassischen Medien nicht die Aussagen der AFD zu oft zu Aufhängern machen und ihnen dadurch eine zu hohe Bedeutung beimessen, erklärte Suding.
Enormer Zeitdruck durch Online-Welt
Mit Blick auf die Arbeitsweise von Journalisten äußerte Axel Finkenwirth, früher selbst einmal Journalist, aber auch Verständnis: „Journalisten wollen erster und schnellster sein, müssen es sogar. Es gibt keinen Redaktionsschluss mehr durch die Online-Welt, deshalb herrscht ein enormer Zeitdruck und ganz andere Geschwindigkeiten.“
So werde er mitunter per SMS aus der Pressekonferenz der Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner kontaktiert und um ein Statement des Bauernverbands gebeten, obwohl die PK noch gar nicht vorbei sei. Sein Fazit: „Leitmedien müssen den Leuten Orientierung geben!“.
Die Highlights des zweiten Podiums gibt es hier im Zusammenschnitt:
Bevormundungsjournalismus ist Vergangenheit
Beiden Panels wurden in gewohnter Tradition von dem bekannten Journalisten-Duo Jakob Augstein und Nikolaus Blome pointiert und zugespitzt kommentiert. Einigkeit bestand vor allem darin, dass einen Bevormundungsjournalismus schon lange nicht mehr gäbe: „Solange wir die Fakten richtig geliefert haben, können wir den Lesern überlassen, was sie daraus machen“, erklärte Blome.
Bildergalerie zur Veranstaltung
Noch mehr Fotos vom 5. Mediendialog Lebensmittel gibt es in der Bildergalerie:
Der BLL übertrug den kompletten Mediendialog live via YouTube. Das Video aus dem Livestream steht weiterhin hier online: https://youtu.be/cuZ_MR9hAA0
Diskussionsformat Mediendialog Lebensmittel
Mit der Veranstaltungsreihe Mediendialog Lebensmittel möchte der BLL als Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft Medien, Wirtschaft und Politik zusammenbringen, Verständnis fördern, Vorurteile abbauen und einen Dialog auf Augenhöhe anregen. Rückblicke auf die vorherigen Ausgaben des Formats stehen hier online: