Interview mit Dr. Sieglinde Stähle zur EU-Einwegkunststoffrichtlinie

Was bedeutet die neue Regelung zu Kunststoffprodukten für den Coffee-to-go?

- Seit dem 3. Juli 2021 ist in Deutschland die europäische Richtlinie (EU) 2019/904 umgesetzt. Ein Ziel der EU-Einwegkunststoffrichtlinie ist es, durch Verbote und verbrauchsmindernde Maßnahmen die Nutzung von Produkten aus Einwegkunststoff zu reduzieren.
vier gelbe Plastikbecher mit Plastikbesteck und Strohhalmen

Symbolbild Einwegkunststoff

© Tatiana - stock.adobe.com
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Hintergrund der Richtlinie ist die zunehmende Verschmutzung der Meere, die durch das achtlose Wegwerfen von gebrauchten Kunststoffartikeln wie Strohhalmen entstanden ist und dem verstärkt entgegengewirkt werden soll. Wir haben mit unserer Expertin Dr. Sieglinde Stähle über die neuen Vorschriften und ihre Bedeutung gesprochen.

Frau Dr. Stähle, was bedeutet das Einwegkunststoffverbot für die Wirtschaft und was für die Verbraucher:innen?
Die Einwegkunststoffrichtlinie wird in mehreren Tranchen umgesetzt, an die sich Wirtschaft und Verbraucher:innen zeitlich gestaffelt einstellen müssen. Als erster Schritt ist am 3. Juli das Einwegkunststoffverbot, das vollständige „Aus“ für bestimmte Artikel, in Kraft getreten. Es folgen noch Kennzeichnungsvorschriften zum Entsorgen. In Form des neuen Verpackungsgesetzes kommt zudem zu einem späteren Zeitpunkt noch erweiterte Pfandpflichten und eine Mehrwegangebotspflicht für den To-Go-Bereich hinzu.

Welche Produkte dürfen konkret nicht mehr verkauft werden seit dem 3. Juli 2021?
Konkret verboten sind folgende Kunststoffprodukte: Einwegbestecke und –Teller, Trinkhalme, Rührstäbchen, Wattestäbchen und Luftballonstäbe aus Plastik; ebenso verboten wurden bestimmte To-go-Behälter sowie To-go-Getränkebecher aus Styropor. Das Besondere ist, dass auch z. B. Wegwerfgeschirre aus sog. biobasierten oder biologisch abbaubaren Kunststoffen betroffen sind oder solche aus Pappe, sobald sie zu einem geringen Teil mit Kunststoff überzogen sind. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll eben gar kein Müll aus Einwegprodukten entstehen.

Gibt es Übergangsregelungen für die Verbotsvorschrift?
Das neue „Verbot“ gilt „ab sofort“ für das erste Inverkehrbringen der Produkte wie z.B. die Kunststoff-Trinkhalme. Es darf nichts mehr für den hiesigen Markt hergestellt oder importiert werden. Alle Artikel, die vor dem 3. Juli 2021 hergestellt wurden, dürfen abverkauft werden. Trinkhalme, Partygeschirre, die sich z. B. in der Gastronomie oder im Einzelhandel befinden – oder im Privathaushalt – , dürfen bis zum Aufbrauch genutzt werden und müssen nicht aus den Regalen. Es soll nicht unnötigerweise noch mehr Müll verursacht werden.

Laut Bundesumweltministerium werden in Deutschland stündlich rund 320.000 Einweg-Becher für Heißgetränke verbraucht. Was passiert nun mit dem Coffee-to-go?
Ob diese Zahl so aktuell ist, ist zu bezweifeln, es hat sich ja schon viel bewegt beim Coffee-to-go-Becher. Festzustellen ist, dass die Corona-Zeit viele freiwillige Konzepte zur Vermeidung von Einweg-Bechern z. B. durch mitgebrachte Mehrwegbecher oder durch Pfandbecher, durcheinandergewirbelt hat und Initiativen zurückgeworfen wurden. Stand heute ist: Coffee-to-go in Styropor ist verboten; Coffee-to-go im Einwegbecher ist ab 3. Juli 2023 obligatorisch zu ersetzen durch Mehrwegbecher oder Kunden-Becher. Wir machen uns derzeit Gedanken, wo und wie das umgesetzt werden kann bzw. muss.

Gerade auch durch Corona hat Essen zum Mitnehmen einen neuen Hype erfahren. Auf welche Alternativen kann die Branche zurückgreifen?
Der Branche ist jetzt wichtig, sich nach Corona erstmal zu konsolidieren und dann wird deutlich, welcher Anteil der Essensbestellungen weiterhin „außer Haus“ geht und ob Gäste dies bevorzugt weiter nachfragen. Die Mittel der Wahl zur Abgabe von Essen zur Mitnahme – oder Lieferung – sollten nicht mehr die Einwegbehältnisse sein, sondern geeignete Mehrweg-Schalen aus Kunststoff, Glas, Keramik oder innovativem Material. Die beste Lösung ist das Geschirr, das die Kunden von zuhause mitbringen und das hygienisch durchdacht in der Gastronomie befüllt wird. Wir wissen aber, dass das von Seiten der Gäste die Ausnahme darstellt; Vielen ist es zu umständlich. Über Mehrweg-Geschirre müssen sich die Gastronomen also noch Gedanken machen und sich z. B. für Pfandkonzepte entscheiden, sich Poolsystemen anschließen. Ab Juli 2023 wird dies für bestimmte Betriebsgrößen zur Pflicht – insofern ist jetzt die Zeit zu beginnen und auch die Kunden zu sensibilisieren.
Der Schlüssel zum Erfolg – auch zum Erfolg für die Umwelt – liegt in der Nachfrage; wenn Verbraucher nicht mitmachen, wenn sie Mehrweg-Geschirr nicht nutzen, dann wird die gesetzliche Angebotspflicht zur einseitigen Last für die Gastronomen.

Weitere Informationen bieten die Merkblätter des Lebensmittelverbands zu Mehrweggeschirr und Poolsystemen.