Position/Stellungnahme

WHO – "Set of recommendations on the marketing of foods and non-alcoholic beverages to children"

- Werbung ist in der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bereits umfangreich reglementiert. Zahlreiche europäische und nationale Regelungen enthalten detaillierte Bestimmungen zur Lebensmittelwerbung und tragen dabei der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern Rechnung. Darüber hinaus hat die Wirtschaft national und EU-weit funktionierende Systeme der Werbeselbstkontrolle eingerichtet und freiwillige Verhaltensregeln entwickelt.

Der BLL ist überzeugt, dass der in Deutschland bestehende Rahmen gesetzlicher und freiwilliger Regelungen grundsätzlich ausreicht, um eine verantwortliche Bewerbung von Lebensmitteln zu gewährleisten. So bilden die Verhaltensregeln des Deutschen Werberates seit jeher einen funktionierenden selbstregulatorischen Rahmen für eine verantwortungsvolle Bewerbung auch von Lebensmitteln. Angesichts der Fokussierung der öffentlichen Diskussion auf das Thema "Lebensmittelwerbung" hat die deutsche Lebensmittelwirtschaft 2009 darüber hinaus zusammen mit den im Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW) zusammengeschlossenen Organisationen spezielle gemeinsame Verhaltensregeln über die kommerzielle Kommunikation für Lebensmittel für die gesamte Lebensmittelwirtschaft, die Medien, den Handel und Agenturen aufgestellt<hochgestellt><ankerziel name='b1'>(1)</hochgestellt>. Wenngleich wissenschaftliche Belege fehlen, dass Werbung zu einem nachteiligen Verzehrsverhalten führt und einen Beitrag bei der Entstehung von Übergewicht leistet, unterstreicht die deutsche Lebensmittelwirtschaft mit diesem Schritt erneut ihr klares Bekenntnis zu einer verantwortungsvollen kommerziellen Kommunikation, die auf anerkannten Verhaltensregeln der freiwilligen Selbstkontrolle basieren.

In diesem Zusammenhang muss noch einmal betont werden, dass weder Werbung noch andere Marketingaktivitäten bei der Entstehung von Übergewicht eine wissenschaftlich belegte Rolle spielen. Selbst die in dem WHO-Papier zitierten Studien<hochgestellt><ankerziel name='b2'>(2)</hochgestellt> belegen keinen direkten Zusammenhang zwischen Werbung und Übergewicht bzw. Fettleibigkeit.

Auch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass - umgekehrt - Werbeverbote einen positiven Einfluss auf die Prävention haben: In der kanadischen Provinz Québec ist seit 1980 an Kinder gerichtete Food-Werbung verboten, auch in Schweden darf an Kinder unter 10 Jahren keine Food-Werbung gerichtet werden. Jedoch sind weder in Québec die Kinder weniger übergewichtig als in den anderen kanadischen Provinzen ohne Werbeverbot, noch hat sich in Schweden das Werbeverbot auf das kindliche Übergewicht ausgewirkt. So kommt auch eine Studie aus Kanada zum Schluss, dass Werbebeschränkungen für Lebensmittel gegenüber Kindern keinen Beitrag zur Vermeidung von Übergewicht leisten.<hochgestellt><ankerziel name='b3'>(3)</hochgestellt>

Eine gesunde, ausgewogene Ernährung erfordert bei ausreichender Bewegung nicht den Ausschluss bestimmter Produkte, wie es auch die DGE formuliert: "Genießen Sie die Lebensmittelvielfalt."<hochgestellt><ankerziel name='b4'>(4)</hochgestellt> und "Die Qualität der Ernährung wird dementsprechend nicht durch ein einzelnes Lebensmittel bestimmt, sondern durch die Summe dessen, was an Lebensmitteln aufgenommen wird."<hochgestellt><ankerziel name='b5'>(5)</hochgestellt> Es gibt keine per se gesunden oder per se ungesunden Lebensmittel, vielmehr finden alle Lebensmittel in einer ausgewogenen Ernährung ihren Platz.

Studien wie z.B. die KOPS-Studie<hochgestellt><ankerziel name='b6'>(6)</hochgestellt> belegen zudem, dass Übergewicht und Adipositas nicht auf einzelne Lebensmittel oder Lebensmittelgruppen zurückgeführt werden können. Nicht die Auswahl "ungesunder" Lebensmittel ist prägend für das Übergewicht. Vielmehr steht eine geringe körperliche Aktivität bzw. hohe Inaktivität mit der höheren Prävalenz für Übergewicht bei Kindern in Verbindung.

Der BLL lehnt daher die Einteilung von Lebensmitteln in "gut und schlecht" als ernährungswissenschaftlich nicht begründbar und auch nicht zielführend hinsichtlich der Vermeidung von Übergewicht ab. Es ist anzuerkennen, dass der Verzehr bestimmter Lebensmittel nicht mit dem Auftreten von Übergewicht assoziiert ist. Denn Fakt ist, dass die Entstehung von Übergewicht keine Frage "guter oder schlechter" Lebensmittelgruppen, einzelner Lebensmittel oder Nährstoffe ist, sondern eine Frage der "guten oder schlechten" Lebensweise. Übergewicht ist die Folge des Lebensstils, den nicht zuletzt das Maß an Bewegung und die daraus resultierende Energiebilanz prägt. Daher steht die Lebensmittelwirtschaft der Einteilung von "guten und schlechten" Lebensmitteln anhand sogenannter Nährwertprofile sehr kritisch gegenüber. Ernährungswissenschaftlich ist ein solches Vorhaben nur schwer zu begründen und die Gefahr der willkürlichen Differenzierung ist groß.

Zudem sind schon auf europäischer Ebene viele Fragen bei dem Versuch, Nährwertprofile zu definieren, nach wie vor unbeantwortet, wie z.B. anhand welcher nationalen und/oder internationalen Ernährungsempfehlungen Grenzwerte für disqualifizierende Nährstoffe formuliert werden sollen? Es erscheint nicht vorstellbar, dass eine globale Definition von Nährwertprofilen den regionalen Besonderheiten vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Lebensbedingungen und den daraus resultierenden verschiedenen Anforderungen an die Ernährungsweise gerecht werden kann.

Die WHO fordert die Regierungen in ihrer 4. Empfehlung auf, Kriterien zu definieren, die zur Formulierung einer nationalen Strategie herangezogen werden. Ein wichtiges Kriterium ist das „Alter der Kinder“ bzw. die Definition der Altersgruppe, für die Restriktionen gelten
sollen. Hierzu gilt es Folgendes anzumerken: Die wesentliche Frage lautet nicht, bis zu welchem Alter ein Kind noch ein Kind ist. Entscheidend ist vor allem, ab wann die Fähigkeit ausgebildet ist, Marketingmaßnahmen einerseits als solche zu erkennen und andererseits den Sinn und Zweck von Marketing zu verstehen. Studien belegen, dass dies mit spätestens 12 Jahren der Fall ist, wie die Auswertung von 49 Studien durch Livingstone und Helpser zeigt<hochgestellt><ankerziel name='b7'>(7)</hochgestellt>. Das US Institut of Medicine wiederum konnte aufzeigen, dass spätestens bei älteren Teens im Alter von 12-18 kein signifikanter Einfluss auf Kaufentscheidungen oder Ernährungsverhalten festzustellen ist<hochgestellt><ankerziel name='b8'>(8)</hochgestellt>. Daher definieren die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats Kinder als Personen bis zu 12 Jahren.

Es ist festzuhalten, dass ein generelles Marketingverbot für (fett-, zucker- und salzreiche) Lebensmittel nicht der Auftrag bzw. Ziel des WHA-Mandats ist - weder gegenüber Kindern und schon gar nicht gegenüber Erwachsenen. Die Lebensmittelwirtschaft sieht es daher mit Sorge, dass eine restriktive Definition und die Kombination der im WHO-Papier unter Empfehlung 4 vorgeschlagenen Kriterien letztendlich unberechtigt in ein Werbe- bzw. Marketingverbot für bestimmte Lebensmittel münden können. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn folgende Kriterien formuliert und mit einander verknüpft werden: (1) Alter der Kinder bis 18 Jahre, (2) alle Kommunikationskanäle wie z.B. TV, Print, Internet und Radio und (3) 5 % Kinder in der Zielgruppe. Dies hätte negative Folgen nicht nur für die (jugendlichen und erwachsenen) Verbraucher, sondern auch für die Unternehmen und Medien. Denn Werbung und Marketing sind ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft und spielen eine fundamentale Rolle in einem fairen und lauteren Wettbewerb. So ist Werbung für eine allen Konsumenten zugängliche Information über die Vielfalt der Produkte, bietet Orientierungshilfe und dient der Markenentscheidung innerhalb einer Produktgruppe. Der Umgang mit Werbung und Marketing sollte daher Bildungsziel sein. Ein Schwerpunkt sollte auf den Ausbau der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen gelegt und Maßnahmen hierzu gefördert werden.

Nicht zuletzt möchten wir noch einmal betonen, dass gesundheitspolitische Zielsetzungen nur begründbar und langfristig durchsetzbar sind, wenn sie auf eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Dies gilt besonders dann, wenn die daraus abgeleiteten Maßnahmen zu Beschränkungen der Freiheit von Bürgern und Unternehmen führt. Werden unter diesen Voraussetzungen einschränkende Maßnahmen als unumgänglich angesehen, so ist die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen durch geeignete Monitoring- und Evaluationsaktivitäten zu überprüfen.

So ist der in Paragraf 33 der WHO-Empfehlung vorgeschlagene Parameter zur Erfolgmessung "Reduzierung von Absatz oder Marktanteil" nicht zweckdienlich. Absatz und Marktanteil werden von vielen Faktoren beeinflusst und können nicht nur auf den Aspekt der Kommunikation reduziert werden. Wenn schon eine Einschränkung der an Kinder gerichteten Kommunikation als Maßnahme im Kampf gegen die Übergewichtsproblematik angestrebt wird, sollte daher auch die Reduzierung der Werbekontakte in der Zielgruppe "Kinder" als Messgröße empfohlen werden. Darüber hinaus gilt es, die Entwicklung des Übergewichts von Kindern zu verfolgen, um die Zielerreichung für das übergeordnete, eigentliche Ziel der vorgeschlagenen Maßnahmen evaluieren zu können.

Stellt sich im Zuge der Erfolgsmessung heraus, dass die Maßnahmen nicht zur Zielerreichung beitragen bzw. kann kein positiver Wirksamkeitsnachweis geführt werden, müssen selbstverständlich entsprechende Korrekturen vorgenommen werden.

Referenzen

 

  1. ^Deutsche Werberat: Verhaltensregeln des Deutschen Werberats über die kommerzielle Kommunikation für Lebensmittel, Juli 2009
  2. ^Willms, Tremblay, Katzmarzyk: Geographical and demographic variation in the prevalence of overweight in Canadian children, 2003.
  3. ^Hastings et al.: Review of the research on the effects of food promotion to children, 2003 Hasting et al.: The extent, nature and effects of food promotion to children: a review of the evidence, 2006 McGinnis, Gootman & Kraak: Food marketing to children and youth: threat or opportunity?, 2006
  4. ^Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Vollwertig Essen und Trinken nach den 10 Regeln der DGE, 22. überarbeitete Auflage, 2005
  5. ^Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Stellungnahme zur Anwendung von "Guideline Daily Amounts" (GDA) in der freiwilligen Kennzeichnung von Lebensmitteln, Januar 2008
  6. ^KOPS-Studie der Universität Kiel, Müller et al: Prävention der Adipositas, 2002
  7. ^Livingstone und Helpser: Advertising Foods to Children - Understanding promotion in the context of children’s daily lives, 2006; Ofcom, Childhood Obesitiy - Food Advertising in Context (review of academic research conducted by Prof. Sonia Livingstone, LSE, London, UK), 22 July 2004
  8. ^Institute of Medicine, Food Marketing to Children and Youth: Threat or Opportunity, 2005


Bonn, Januar 2010

Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL)
Der BLL ist der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft. Ihm gehören ca. 500 Verbände und Unternehmen der gesamten Lebensmittelkette -°Industrie, Handel, Handwerk, Landwirtschaft und angrenzende Gebiete- an.

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