Position/Stellungnahme

„Süß macht dumm“? – BLL antwortet auf den Artikel von Dr. Jörg Zittlau in der WELT

- „Süß macht dumm“ betitelte Autor Dr. Jörg Zittlau plakativ seinen Artikel für „Die Welt“ vom 10.8.2017. In diesem gibt er Ergebnisse einer Handvoll Zuckerstudien wieder und interpretiert sie. Wir haben uns die Studienlage mal genau angesehen und Dr. Zittlau einen Brief geschrieben, den wir hier veröffentlichen, zusammen mit der Antwort des Autors.

Sehr geehrter Herr Dr. Zittlau,

„Erst schreiben, wenn man verstanden hat - auch wenn es lange dauert" – mit diesem Zitat grüßen Sie von der Startseite Ihrer Homepage. Im Falle Ihres aktuellen WELT-Artikels „Süß macht dumm“ (10. August 2017), in dem Sie einen Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und der Entstehung von Depressionen suchen, wäre es wünschenswert gewesen, wenn Sie sich dieses Motto tatsächlich zu Herzen genommen hätten. Es gibt im Bereich der Ernährungswissenschaften viele Studien, die versuchen, der Komplexität dieses Bereichs gerecht zu werden, Kausalitäten darzulegen und neue Erkenntnisse zu liefern. Doch gerade aufgrund dieser Komplexität und der Vielzahl an Parametern (Lifestyle, Genetik, Ernährungs- und Bewegungsverhalten, Schlafkonsum etc.), die berücksichtigt werden müssen, haben Studien eine unterschiedlich starke Aussagekraft und liefern teils widersprüchliche Ergebnisse. Wir verstehen das Streben von Journalisten, einfache Tipps und Handlungsempfehlungen für die Leser ableiten zu können. Aber wenn es diese nicht gibt, sollte man sie nicht durch die eigene Voreingenommenheit mit aller Macht hinein interpretieren.

In der Studie des Londoner University College „Sugar intake from sweet food and beverages, common mental disorder and depression: prospective findings from the Whitehall II study” geht es um den Zusammenhang zwischen der Zuckeraufnahme aus Süßigkeiten/gesüßten Getränken und psychischen Erkrankungen/Depressionen. Die Aussagekraft der Studie ist allein deshalb schon nicht belastbar, da sie nicht repräsentativ ist. Zudem weist sie eine Reihe widersprüchlicher Ergebnisse auf:

  • Der Zusammenhang von Depression und Zuckeraufnahme aus den betrachteten Lebensmittelgruppen ist in der Querschnittsanalyse nicht stabil. Sobald andere Lebensmittelgruppen oder gesundheitsrelevante Faktoren in der Analyse berücksichtigt werden, ist der Zusammenhang nicht mehr nachweisbar.
  • Bei der Längsschnittanalyse wurde nach Männern und Frauen differenziert, da es Hinweise auf Unterschiede gab. Bei den Frauen zeigte sich weder nach zwei noch nach fünf Jahren ein signifikanter Zusammenhang der Zuckeraufnahme und psychischen Erkrankungen. Bei den Männern zeigte sich in dem vollständig adjustiertem Modell ein Zusammenhang erst nach fünf Jahren.
  • Wenn nur Depressions-Erkrankungen betrachtet werden, zeigte sich in der Längsschnittstudie nach fünf Jahren weder für Männer noch für Frauen Zusammenhänge zur Zuckeraufnahme.
  • Nach zehn Jahren fanden die Autoren keinen Zusammenhang zwischen der Zuckeraufnahme und psychischen Erkrankungen oder Depression insgesamt. Bei den Frauen gab es sogar eher eine Tendenz für weniger klinische Depression bei höherer Zuckeraufnahme.

Sie zitieren eine der beteiligten Wissenschaftlerinnen selbst mit den Worten, dass „die Zahlen aus der Studie noch keinen kausalen Zusammenhang beweisen“. Auch bei den anderen angesprochenen Studien ist die Datenlage äußert vage. So ist die Hypothese "Zucker macht dumm" nach den Informationen im Artikel nur im Tierexperiment untersucht worden. In diesem Tierexperiment wurden die Ratten extrem zuckerreich ernährt und es ist fraglich, inwieweit diese Ernährungsweise auf den alltäglichen Lebensmittelkonsum eines Menschen übertragen werden kann. Der Artikel selbst erwähnt, dass andere Nährstoffe, wie Omega-3-Fettsäuren, das Ergebnis beeinflussen. Und genau darum geht es letztendlich: um eine ausgewogene Ernährung, die alle Nährstoffe beinhaltet.

Im letzten Absatz Ihres Artikels darf dann die Werbung in eigener Sache nicht fehlen. Sie lassen die Co-Autorin Ihrer Bücher zu Wort kommen und kritisieren die angeblich versteckten Zucker in Lebensmitteln. In diesem Fall tun wir es Ihnen gleich und machen auch Werbung in eigener Sache in dem wir Sie auf unseren „Zucker-Guide“ aufmerksam machen: Wie viel Zucker ist drin? So erkennen Sie den Zuckergehalt eines Lebensmittels. Dank klarer Kennzeichnungsvorgaben gibt es keinerlei versteckten Zucker. Sie müssen nur auf die Verpackung schauen und das Zutatenverzeichnis und/oder die Nährwertkennzeichnung lesen.

So bleibt unser Fazit: nicht „süß macht dumm“, sondern das Lesen mancher Zeitungsartikel.


Lesen Sie hier die Antwort von Dr. Zittlau vom 11. August 2017:

Vielen Dank für Ihren Brief zum Artikel "Süß macht dumm".

Es liegt im Wesen von Ernährungsstudien (die ja sehr oft prospektiv sind), dass sie auf Widerspruch und Kritik stoßen. Dies habe ich, wie Sie ja selbst angeführt haben, durchaus berücksichtigt - aber man kann natürlich in einer Tageszeitung kein Forum für eine akademische Diskussion in all ihren Aspekten bieten. Der Hinweis auf die unzureichende Aussagekraft von Tierexperimenten ist in diesem Zusammenhang übrigens wenig hilfreich, insofern bestimmte Experimente - wie etwa das Verfüttern extrem zuckerreicher Kost am Menschen - von keiner Ethikkommission genehmigt würden.

Nichtsdestoweniger möchte ich darauf hinweisen, dass wir erst vor kurzem einen Artikel dazu veröffentlicht haben, in dem wir die aktuelle Low-Carb-Welle kritisch beleuchtet haben (www.welt.de/gesundheit/article159965182/Warum-Low-Carb-Diaeten-ueberschaetzt-werden.html). Wir versuchen also durchaus, der Komplexität dieses Bereichs gerecht zu werden.

Was ist daran "Werbung in eigener Sache", wenn ich die anerkannte Ernährungswissenschaftlerin und Öko-Test-Autorin Annette Sabersky zitiere? [Anm. des BLL: Anette Sabersky und Dr. Jörg Zittlau haben 7 Bücher gemeinsam publiziert.]

Wenn Zucker kaum leserlich auf die Verpackungsrückseite gedruckt und/oder hinter Begriffen wie Dextrose, Laktose, Fructose und Maltodextrin getarnt wird, kann man das durchaus als "Verstecken" bezeichnen. Nicht umsonst wird weithin die Lebensmittelampel gefordert...

mit freundlichen Grüßen
Dr. Jörg Zittlau

 


 

Weiterführende Informationen: