Position/Stellungnahme

„So schmeckt die Zukunft“? – Leserbrief zum Artikel von Jörg Blech im SPIEGEL, 12/2017

- In der Titelstory „So schmeckt die Zukunft“ des Magazins „Der Spiegel“, Ausgabe 12/2017 vom 18. März 2017, diffamiert der Autor Jörg Blech die Lebensmittelwirtschaft, insbesondere die -hersteller, sowie namentlich auch den BLL, auf üble Art und Weise. Der Artikel verletzt elementare Grundsätze journalistischer Standards und verbreitet falsche Tatsachenbehauptungen. BLL-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff hat dem Magazin einen Leserbrief gesendet, den wir unten stehend in voller Länge veröffentlichen:

Sehr geehrter Herr Brinkbäumer, sehr geehrte Spiegel-Redaktion, lieber Herr Blech,

mittlerweile ist es ja Tradition, dass „Der Spiegel“ sich an der Lebensmittelwirtschaft abarbeitet, einer Branche, die in Deutschland über fünf Millionen Menschen beschäftigt. Unqualifizierte, pauschalisierende, ideologisch motivierte Angriffe sind deshalb Attacken gegen fünf Millionen Bürger, die sich über Artikel wie den oben benannten nur noch wundern.

Modernes Essen mache krank, heißt es da, obwohl die Lebenserwartung ständig und unaufhörlich steigt. Ultraverarbeitete Nahrungsmittel werden angegriffen, dabei dient die Verarbeitung vor allem der Haltbarmachung, der Sicherheit und Genussfähigkeit von Naturprodukten. Die größten Gefahren für die Gesundheit der Menschen im Zusammenhang mit Nahrung allerdings sind mangelnde Hygiene und Gifte von Bakterien und Schimmelpilzen.

Mit Fakten hält sich der Autor aber auch nicht auf, es geht ja offenbar um das Bedienen von Vorurteilen und Werbung für das eigene Buch. Weshalb sich mir die Frage stellt, warum dieser Artikel nicht korrekter Weise mit „Werbung“ von Herrn Blech für Herrn Blech gekennzeichnet ist. Da geht es folglich um den eigenen Vorteil, um so schnöde Dinge wie Auflage, Umsätze und Honorare. Das ist nicht unehrenhaft. Warum Herr Blech Unternehmen angreift, weil sie Produkte verkaufen möchten und selbst mit diesem Artikel nichts anderes als Verkaufsförderung macht, bleibt sein Geheimnis.

Über journalistische Grundregeln einmal hinweggesehen, die bei solchen Werbetexten ja offenbar nicht gelten, sollte sich dennoch der Spiegel ein Stück Redlichkeit bewahren.

Der Artikel beschreibt einen Messerundgang auf der anuga in Köln, bei der „zuletzt“ 160.000 Fachbesucher gewesen seien. „Zuletzt“ bedeutet vor zwei Jahren! Da war die letzte „anuga“! Was Herr Blech als „Zukunft“ ausgibt, ist die Beschreibung der Vergangenheit. Herr Blech schreibt, der aktuelle Trend sei „Convenienve Food“ – leider auch falsch und aus der Vergangenheit. Bio, Regional, vegetarisch und außer Haus sind die Trends. Mangelnde Kochkompetenz ist Trend, Auflösung der Ernährungsriten ist Trend, Nachhaltigkeit ist Trend – aber all das ist ja Zukunft und nicht wie Herr Blech Vergangenheit.

Vergangenheit ist auch, dass die Lebensmittelwirtschaft ihren Umsatz über die Menge macht. Herr Blech schrieb: „Gezielt suchen Nahrungsmittelhersteller nach Rezepturen, die das Sättigungsgefühl ausschalten – und geben Studien in Auftrag, die verschleiern sollen, dass ihre Produkte dick machen.“ Und: „Diese Firmen entscheiden darüber mit, wie sich Milliarden Menschen ernähren – und sie profitieren direkt von deren Überernährung: Wer mehr isst, muss mehr kaufen.“(* Satz geändert, 5. April 2017). Fakt ist: Zwischen 2014 und 2009 ging der Pro-Kopf Verbrauch an Lebensmitteln in Deutschland um 5 Prozent zurück. Der Absatz – sprich die verkaufte Menge der deutschen Lebensmittelhersteller – im Inland sank im gleichen Vergleichszeitraum um 1,3 Prozent laut Statistischem Bundesamt. Mehr Profit bzw. Umsatz kam also lediglich aus höheren Preisen aber nicht, weil die Ernährungswirtschaft den deutschen Verbrauchern mehr verkauft hat.

Vergangenheit sind auch die Feindbilder des Herrn Blech. Böse internationale Großkonzerne verstecken ihre angebliche Marktmacht hinter einer Vielzahl von Produkten. Ebenfalls ein höchst seltsamer Vorwurf, weil er gleichermaßen die Geschäftspolitik des „Spiegel-Verlags“ beschreibt und andererseits ebenfalls schlichtweg falsch ist. Als Henri-Nannen-Preisträger sollte man Herrn Blech mehr Recherchekompetenz anmahnen. Die großen zehn „internationalen“ Konzerne haben in Deutschland gerade einen Marktanteil von knapp zehn Prozent. Die deutsche Lebensmittelwirtschaft ist geprägt von kleinen und mittelständischen Unternehmen, 6.000 an der Zahl, überwiegend im ländlichen Raum angesiedelt. Solche Fakten müssen Herrn Blech nicht interessieren, aber vielleicht seine Leser.

Es ist hier nicht der Platz, die falschen oder irreführenden Behauptungen des Herrn Blech Zeile für Zeile zu widerlegen. Dafür sind die Behauptung zu platt, zu unpräzise, zu sehr journalistisch geschludert, schlichtweg zu viele.

Was allerdings weder Herrn Blech, noch dem „Spiegel“ durchgehen darf, ist die üble Methode, Wahrheiten als „Strategie“ und „Trick“ zu diffamieren. Wer das macht, stellt sich in eine Reihe mit den „Fake-News“-Propheten, den „Lügenpresse“-Schreiern und Digital-Trollen.

  • Wer, wie Herr Blech, den Hinweis auf die „Eigenverantwortung“ der Menschen als „Trick“ bezeichnet, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Das Gegenteil von Eigenverantwortung ist Fremdbestimmung. Ist es das, was Herr Blech will?
  • Auch die Entfaltungs- und Entscheidungsfreiheit der Menschen ist kein Trick, sondern unveräußerliches, verfassungsgarantiertes Recht der Menschen.
  • Kritiker zu kritisieren ist nicht verboten und auch kein „Trick“ sondern gelebter Meinungsstreit. Schon Voltaire wusste und Erdogan weiß, dass sich nur Autokraten Kritik an ihrem Tun verbieten, notfalls mit Gewalt. Dabei muss es nicht nur physische Gewalt sein, manchmal reicht ein einfacher Rufmord.
  • Wissenschaftliche Standards einzuklagen ist kein Trick, wie Herr Blech behauptet, sondern zwingend. Darauf hinzuweisen ist Pflicht aller, die sich der Wissenschaft verpflichtet fühlen. In kaum einem Bereich gibt es so viele pseudowissenschaftliche Erkenntnisse wie in der Ernährungsforschung.
  • Es ist auch kein Trick sondern Fakt, dass die Energiebilanz wesentlichen Einfluss auf das Körpergewicht des Menschen hat. Wer das leugnet, begibt sich auf den Pfad der Esoterik.
  • Es ist auch kein Trick sondern Fakt, dass es keine guten und schlechten Lebensmittel gibt. Es gibt allerdings mangelndes Wissen über ausgewogene Ernährung.

Den Trick, den Herr Blech anwendet, ist die alte Regel des „Haltet den Dieb“. Denn niemand in der Ernährungswirtschaft erstickt Kritik im Keim. Auf welchem Planeten lebt Herr Blech? Stakeholder-Dialoge sind die Hauptbeschäftigung der Verbände und Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft geworden. Transparenz und Offenheit bestimmen die Politik der Interessenvertreter und Firmen. Wer allerdings mit Kritikern nicht spricht – wie Herr Blech –, wer Gegenargumente als „Trick“ bezeichnet, wer nicht eine Kontrastimme in seinem Text zulässt, der sollte mit derlei Vorwürfen äußerst vorsichtig sein.

Dieser Artikel ist jedenfalls des „Spiegels“ nicht würdig. Er verletzt elementare Grundsätze journalistischer Standards, verbreitet falsche Tatsachenbehauptungen und wäre als Post bei „Facebook“ als „Hass-Mail“ zu melden und zu löschen.

* Änderung, 5. April 2017:
Auf pers. Hinweis von Herrn Blech haben wir diesen Satz hier geändert. Wir hatten geschrieben, Herr Blech habe geschrieben, die Industrie wolle immer mehr verkaufen und die Leute dick und krank machen. Genau genommen, heißt es im Spiegel-Artikel wortwörtlich:

  • „Das moderne Essen macht krank. Mit ultraverarbeiteten Nahrungsmitteln verführt uns die Industrie, mehr zu verzehren, als uns guttut.“ und:
  • „in Wahrheit sind die Dicken mehr Opfer als Täter, verführt von einer global agierenden Lebensmittelindustrie, die ungesundes Essen zu einer neuen Form von Sucht gemacht hat. Gezielt suchen Nahrungsmittelhersteller nach Rezepturen, die das Sättigungsgefühl ausschalten – und geben Studien in Auftrag, die verschleiern sollen, dass ihre Produkte dick machen.“ und:
  • „Diese Firmen entscheiden darüber mit, wie sich Milliarden Menschen ernähren – und sie profitieren direkt von deren Überernährung: Wer mehr isst, muss mehr kaufen.“